Formel E

"Nie gedacht, dass sich Dynamik so verändern würde" - Ist der neue Allrad-Attack-Mode der Formel E zu krass?

Timo Pape

Timo Pape

Attack-Mode-Formula-E-Sao-Paulo-Porsche

"Es hat uns die Augen geöffnet, wie weit man damit nach vorn kam", gesteht Mitch Evans, nachdem er in Sao Paulo vom letzten Startplatz aus den Sieg beim Saisonauftakt holte - das gab es in der Formel E noch nie! Ein Grund für seinen Erfolg war eine geschickte Nutzung des Attack-Modes, der durch die neue Allrad-Technologie plötzlich zum Gamechanger wird. Hat sich die Formel E verzockt?

In den vergangenen beiden Jahren hatte der Attack-Mode nahezu seine Bedeutung verloren. Fahrer und Teams bezeichneten ihn regelmäßig als "lästige Pflicht", da das Gen3-Auto die Mehrleistung von 50 kW nicht auf die Strecke übertragen konnte. Der Unterschied zwischen Rennmodus (300 kW) und Attack-Mode (350 kW) war somit kaum mehr vorhanden.

Mit dem neuen Gen3-Evo-Auto hat die Formel E technisch nachgerüstet. Dank neuem Allradantrieb im Attack-Mode sowie weicheren Hankook-Reifen, die mehr Grip bieten, ist wieder ein Unterschied sichtbar - und was für einer! "Selbst wenn du ein paar Sekunden zurückliegst, kannst du das in drei oder vier Kurven wieder gutmachen. So groß ist der Pace-Vorteil!", sagt Antonio Felix da Costa.

Der Porsche-Fahrer, der den Sao Paulo E-Prix als Zweiter beendete, schildert seine Perspektive: "Wir waren konstant in den Top 4, aber als die erste Attack-Mode-Phase begann, bin ich - glaube ich - sogar aus den Top 10 gefallen, weil die Leute im Attack-Mode einfach an mir vorbeigefahren sind. Ich muss das jetzt erst einmal genauer analysieren."

Evans: "Noch keine Erfahrungen mit einem solchen Kontrast"

Auch Rennsieger Evans räumt ein: "Wir alle hatten zuvor noch keine Erfahrungen mit einem solchen Kontrast im Rennen. Wir mussten also erst mal lernen, mit diesem neuen Attack-Mode umzugehen. Das Team hat mich dabei aber gut geführt. Es hat uns die Augen geöffnet, wie weit man damit nach vorn kam."

Obwohl sich Porsche auf genau diese Situation vorbereitet habe, gesteht auch Felix da Costa: "Wir mussten viel improvisieren und uns anpassen." Seine Schlüsse aus dem ersten Rennen mit Allradantrieb: "Du musst clever sein, wie du ihn einsetzt, und darauf achten, dass du nicht hinter jemandem hängen bleibst, gegen den du eigentlich gar nicht direkt kämpfst. Man muss einfach geduldig bleiben: Die Zeit wird kommen, in der man ihn auch selbst aktiviert."

Hui: "Bei jedem Rennen dieser Saison von entscheidender Bedeutung"

Auch Dan Ticktum weiß: "Mit dem Allradantrieb ist der Attack-Mode jetzt sehr mächtig." Sein Teamchef bei Cupra Kiro, Alex Hui, erklärt: "Der neue Allradantrieb der Formel E hat die Nutzung des Attack-Modes völlig verändert."

"Und das hat zusammen mit den neuen weicheren Reifen von Hankook am Wochenende ein zusätzliches strategisches Element hinzugefügt, das bei jedem Rennen in dieser Saison von entscheidender Bedeutung sein wird", ist sich Hui sicher.

Kommentar von Timo Pape: Lieber Attack-Mode als vorbeifahren lassen

"Ich habe es schon vorhergesehen, dass sich die Renndynamik verändern wird. Aber ich hätte nie gedacht, dass sie sich so sehr verändern würde", meint Felix da Costa. Da ist er nicht der Einzige. Viel wurde in den vergangenen Monaten über den neuen Pit-Boost diskutiert, und wie sehr die Schnelllade-Boxenstopps die Rennen verändern könnten. Über den Attack-Mode hat kaum jemand gesprochen - zumindest nicht mit Sorge.

Nach dem Sao Paulo E-Prix muss man sich jedoch fragen: Ist der neue Attack-Mode zu stark? Fakt ist, dass es für die Fans noch schwieriger als sonst nachzuvollziehen war, welche Fahrer eigentlich um den Sieg kämpften. Dies war in den ersten beiden Gen3-Jahren ja ein großer Kritikpunkt an den viel zitierten "Windschattenschlachten". Der Windschatten war am Samstag übrigens gar kein Thema mehr, obwohl die Strecke in Sao Paulo mit ihren langen Gerade ein Paradebeispiel dafür gewesen wäre.

Durch eben diesen Streckencharakter wurde es den Fahrern im Attack-Mode allerdings auch leicht gemacht zu überholen. Es kommen noch deutlich engere Strecken - wie zum Beispiel beim nächsten Saisonlauf in Mexiko - bei dem das Überholen auch mit Allradantrieb schwieriger werden dürfte. Dann könnte es noch mehr auf die Überholfähigkeiten der Fahrer ankommen.

Fakt ist auch, dass der Attack-Mode seinem Namen endlich wieder gerecht wird. Er dient dem Angriff und erinnerte mich tatsächlich an den berühmten Stern bei Mario Kart - zumal die LEDs am Auto bei Aktivierung nun endlich pink und hellblau blinken. Vielleicht würde etwas weniger Kontrast für etwas mehr Klarheit sorgen. Doch diese Nuancen lassen sich mit Blick auf die langfristige Reifenentwicklung kaum steuern.

Eine kurzfristige Lösung könnte möglicherweise sein, die Leistung im Rennmodus zu erhöhen, um den Unterschied zum Allradantrieb zu verringern (wenngleich dies auch Auswirkungen auf andere Dinge hätte). Aber will das jemand? Warten wir erstmal ab, wie groß der Unterschied auf anderen Strecken ist. Ich versuche, das Ganze erst einmal wie Boxenstopps in der Formel 1 zu betrachten. Auch dort kommt es zu Verschiebungen im Feld. Der geneigte Fan kann aber trotzdem noch folgen und weiß, wer eigentlich um den Sieg kämpft.

In der Formel E gibt es allerdings zwei Aktivierungen pro Fahrer - in einem deutlich kürzeren Rennen. Lässt sich dieses Chaos also einigermaßen steuern? Vielleicht mit festen Attack-Mode-Fenstern, in denen alle Fahrer aktivieren müssen. Zumal davon auszugehen ist, dass die Teams ihren zweiten Attack-Mode künftig bis zuletzt aufsparen werden - Jaguar und McLaren haben am Samstag gezeigt, warum. Aber wenn alle wieder gleich viel Leistung haben, könnten sie auch nicht mehr attackieren.

Der überarbeitete Attack-Mode hat ein neues strategisches Element in die Formel E gebracht, das die meisten unterschätzt haben. Er sorgt für viele Überholmanöver, die mir von der Art her lieber waren als das "Vorbeiwinken" der letzten zwei Saisons, weil sie vom Angreifer selbst ausgingen. Insofern bin ich erst einmal positiv gestimmt und hoffe, dass das Chaos bei den kommenden Rennen etwas weniger wird. Bleibt nur noch die Frage, wie der mächtige Attack-Mode in Kombination mit dem Pit-Boost aussehen soll, der ab dem Jeddah E-Prix zum Einsatz kommt…

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2 Kommentare

Luca ·

Endlich ist der attack Mode wider sinfoll und nicht nur eine flicht

EffEll ·

Mir gefällt das durchaus gut! Endlich gibt es eine - wenn auch recht unvorhersehbare - Dynamik. Aber alles ist besser als die recht statischen Windschattenrennen, gerade auf den herkömmlichen Rennstrecken. Da bin ich gespannt drauf, wie die Rennen sich darauf verändern werden

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