Formel E

Offiziell: FIA beschließt neues Qualifying-Format mit K.-o.-System für Formel-E-Saison 2022

Tobias Wirtz

Tobias Wirtz

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Es hatte sich bereits angedeutet: Der Weltmotorsportrat (WMSC) des Automobil-Weltverbandes FIA hat in seiner Sitzung am Freitag eine umfangreiche Überarbeitung des Qualifyings in der Formel E beschlossen. Anstelle der ungeliebten vier Gruppen mit anschließender Super-Pole wird der erste Startplatz zukünftig in einem Turniermodus ermittelt.

Zunächst beginnt das Qualifying jedoch auch weiterhin mit einer Gruppenphase: Das aus 22 Fahrzeugen bestehende Feld wird in zwei Gruppen zu je elf Fahrzeugen aufgeteilt. Jede Gruppe erhält zehn Minuten Zeit, schnelle Rundenzeiten zu erzielen. Jeder Fahrer ist dabei verpflichtet, innerhalb der ersten fünf Minuten in seiner Gruppe eine gezeitete Runde zu fahren, darf aber insgesamt so viele Runden fahren, wie er will. In der Gruppenphase dürfen die Fahrer maximal 220 kW nutzen - die gleiche Leistung, die ihnen in der kommenden Saison auch im Rennen zur Verfügung steht.

Die Aufteilung der Fahrer in die Gruppen erfolgt dabei anhand des WM-Standes: Die in der Gesamtwertung auf den ungeraden Positionen platzierten Piloten müssen in der ersten Gruppe (A) antreten, die übrigen Fahrer in Gruppe B. Fahrer, die am Rennwochenende nicht teilnehmen, werden vorher aus der Reihung entfernt. Beim ersten Saisonrennen startet ein Fahrer jedes Teams in einer der beiden Gruppen. Die Teams müssen vor dem Event entscheiden, welcher Fahrer in welcher Gruppe starten soll und dies den Rennkommissaren schriftlich mitteilen.

Nach der Gruppenphase stehen die Startpositionen 9 bis 22 anhand der erzielten Zeiten fest: Es handelt sich um die Piloten, die in ihrer Gruppe die Plätze 5 bis 11 belegt haben. Dabei startet der fünftplatzierte Fahrer einer Gruppe auch aus der fünften Startreihe und der sechstplatzierte Fahrer aus der sechsten Startreihe, unabhängig von den erzielten Rundenzeiten. Dem schnellsten Fahrer der Gruppenphase winkt hingegen, wie bislang schon, ein WM-Punkt für die Gesamtwertung.

Dreistufige K.o-Phase nach dem Gruppen-Qualifying

Die vier schnellsten Fahrer aus jeder Gruppe treten dann im Turniermodus gegeneinander an: Im Viertelfinale fährt der schnellste Fahrer aus einer Gruppe in einem Einzelzeitfahren im Duell gegen den viertplatzierten Piloten aus der anderen Gruppe. Gleiches gilt für die Fahrer auf den Positionen 2 und 3. Beide Fahrer befinden sich dabei gleichzeitig auf der Strecke, wobei der schwächer platzierte Fahrer zuerst fahren muss. Anders als in der Gruppenphase stehen den Piloten hier - wie später auch im Halbfinale und im Finale - die vollen 250 kW zur Verfügung.

Die Verlierer dieser Runden erhalten die Startpositionen 5 bis 8 anhand ihrer Rundenzeit. Im Halbfinale treffen die Gewinner aus dem "Erster gegen Vierter"-Zeitrennen auf die Gewinner des "Zweiter gegen Dritter"-Duells. Die beiden Verlierer starten aus der zweiten Startreihe. Die Sieger der beiden Duelle hingegen kämpfen im Finale in einer gezielten Runde um die Pole-Position, die nach wie vor drei Punkte wert ist.

Wichtig ist der Finalsieger jedoch auch für die in der Gruppenphase ausgeschiedenen Piloten: Die Gegner aus seiner Qualifying-Gruppe starten nämlich auf den ungeraden Startplätzen 9 bis 21, die in der anderen Gruppe unterlegenen Piloten müssen auf die geraden Startplätze 10 bis 22.

Da das Qualifying damit länger dauern wird als bisher, reduziert sich die Streckenzeit im 1. Freien Training von 45 auf 30 Minuten. Positiver Nebeneffekt: Das Aufladen der Batterien nach dem Training dauert kürzer, damit kann die Rennserie auch die Zeitabstände zwischen den beiden Freien Trainings verkürzen. Je nach Uhrzeit des geplanten Rennstarts musste das 1. Freie Training in der Vergangenheit teils schon vor 8 Uhr Ortszeit oder gar noch früher beginnen.

Neue Regeln für Zeiten hinter dem Safety-Car oder bei Full-Course-Yellow

Auch die umstrittene Energieregel für Safety-Car- oder Full-Course-Yellow-Phasen wird für kommende Saison geändert: Anstelle eines Energieabzugs führt die Rennserie eine "Nachspielzeit" ein, wie es sie auch im Fußball gibt. Für jede volle Minute der Neutralisierung werden 45 Sekunden auf die Rennzeit addiert.

Dies gilt jedoch nur für die ersten 40 Minuten des Rennens. Zu diesem Zeitpunkt will die Formel E, ähnlich wie durch den Schiedsrichter-Assistenten beim Fußball, die offizielle "Nachspielzeit" bekannt geben. Sollte zu diesem Zeitpunkt ein Safety-Car auf die Strecke kommen, eine Full-Course-Yellow-Phase laufen oder sogar danach noch stattfinden, wird diese Zeit nicht aufaddiert. Die maximale Verlängerung der Rennzeit ist dabei auf zehn Minuten gedeckelt.

Weitere Änderungen im Sportlichen Reglement: Den Teams wird der Zugang zur Boxengasse am Donnerstag vor dem Rennen nur dann gestattet, wenn ein Rennen am Samstag stattfindet. Außerdem wurden die Beschränkungen für einige Sensoren am Fahrzeug gelockert.

Meinung von Tobias Wirtz: Es gibt keine perfekte Lösung

Das Qualifying-Format war in den ersten sieben Formel-E-Saisons das Thema schlechthin. Zur Anfangszeit der Elektrorennserie wurde noch kritisiert, dass die Qualifying-Lotterie einen Erfolg beim Kampf um die ersten Startplätze zu sehr vom Zufall abhängig mache. Später verschob sich die Kritik an der Einteilung der Gruppen anhand der Gesamtwertung dahingehend, dass Fahrer für gute Leistungen bestraft würden.

Ein absolut nachvollziehbares Problem, das in der Folge auch zu seltsamen Blüten führte: So gab Oliver Rowland beim Rennen in New York City 2021 eine Position an seinen Teamkollegen Sebastien Buemi ab. Dadurch erzielte Rowland zwei Punkte weniger, was ihn in der Gesamtwertung auf Platz 7 statt auf Platz 6 brachte. Vorteil: Für das Qualifying am folgenden Tag durfte Rowland in Gruppe 2 statt in Gruppe 1 starten. Pech nur für Rowland, dass Gruppe 2 den einzigen Regenschauer in der gesamten Qualifikation abbekam und er sich so selbst benachteiligte.

Daher ist der Wunsch nach einem neuen Qualifying-Format durchaus nachvollziehbar, und die Formel E hat sich auch ein interessantes Konzept überlegt, das den Zuschauern definitiv einiges an Action bieten wird.

Man darf sich jedoch nichts vormachen: Wirklich fair ist auch das neue System nicht. Denn das Grundproblem bleibt bestehen: 22 Fahrzeuge gleichzeitig auf Zeitenjagd - das funktioniert nur auf ganz wenigen Strecken im Formel-E-Kalender. Das wäre beispielsweise beim "Micky-Maus-Kurs" in London unmöglich, sodass die Rennserie die Piloten zwingend in Gruppen aufteilen muss. Und identische Bedingungen für verschiedene Gruppen herzustellen, funktioniert einfach nicht. Selbst wenn kein Regenschauer kommen sollte, verändert sich die Strecke naturgemäß immer.

Zudem kann es 2022 vorkommen, dass ein Fahrer zwar die fünftschnellste Rundenzeit im Qualifying fährt, aber dennoch nur Startposition 9 oder 10 belegt. Das passiert immer dann, wenn er in seiner Gruppe Fünfter wird und gleichzeitig schneller war als alle Fahrer in der anderen Gruppe. Auf der anderen Seite kann man auch als (zeitenmäßig) 15. in die K.-o.-Phase der besten 8 einziehen: Man muss nur sieben Fahrer in seiner Gruppe hinter sich lassen.

Insbesondere, wenn es einen knappen Kampf um die Meisterschaft geben wird, wird es auch hier früher oder später Beschwerden geben. Nicht auszudenken, wenn der Meisterschaftsführende im letzten Rennen nur um wenige Tausendstelsekunden den vierten Platz in seiner Gruppe verpasst und von Platz 10 ins Rennen gehen muss. Während sein direkter Kontrahent, der in der anderen Gruppe trotz einer langsameren Rundenzeit so gerade den vierten Platz erzielt hat, durch ein wenig Glück in der K.-o.-Phase die Pole-Position erzielt.

Die Idee, in der Formel E eine "Nachspielzeit" einzuführen, ist hingegen ein unheimlich kluger Schachzug der Rennserie: Das Konzept ist durch seine mittlerweile 130-jährige (!) Anwendung im Fußball fast allen sportinteressierten Menschen ein Begriff. Ganz im Gegensatz zu der bislang praktizierten Energiereduzierung, mit der auf einem deutlich intransparenteren Weg ein ähnliches Ergebnis erzielt wurde.

Wie wir selbst auch oft in Kommentaren in den sozialen Netzwerken immer wieder mitgeteilt bekommen haben, war diese Regel einfach viel zu kompliziert. Insbesondere einem/einer Formel-E-Gelegenheitszuschauer:in zu erklären, warum den Fahrern Energie weggenommen wird, die sich faktisch jedoch noch in der Batterie befand, kam oft einer Sisyphusarbeit gleich. Eine Meinung, die mein Kollege Tobias Bluhm auch nach dem Valencia E-Prix in einem lesenswerten Artikel "aufs Papier" brachte.

Aber auch das Problem der fehlenden Planungssicherheit für die übertragenden TV-Stationen trägt das neue Konzept mit seiner Limitierung auf zehn Minuten Rechnung. Sollte es nicht zu einer roten Flagge, also einer Rennunterbrechung kommen, ist so sichergestellt, dass ein Rennen immer nach maximal 60 Minuten beendet ist.

Die TV-Sender wird es auf jeden Fall freuen. Aber mich auch: Von meiner Seite aus könnte es morgen schon losgehen.

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