Performance-Analyse: Zahlen, Daten & Statistiken zur Formel E in Marrakesch
Tobias Wirtz
Spektakulär, emotional, mitreißend, verrückt. Es gibt viele Worte, mit denen man den Marrakesch E-Prix des vergangenen Wochenendes beschreiben könnte. In einem epischen Rennen in Marokko setzte sich Jerome d'Ambrosio im Mahindra in einem Fotofinish gegen die Konkurrenz durch, nachdem sich zuvor die in Führung liegenden BMW-Piloten gegenseitig von der Rennstrecke räumten und womöglich den zweiten Rennsieg der Saison aus der Hand gaben. Doch der Marrakesch E-Prix war mehr als nur jenes Chaos, das die Fernsehbilder vermittelten.
Bereits zum dritten Mal kehrte die Formel E an den Circuit International Moulay el Hassan zurück. Häufiger fand bisher nur der Berlin E-Prix in Deutschland statt. Es war der insgesamt 48. Lauf in der noch jungen Formel-E-Geschichte - und bereits der dritte Karrieresieg für Jerome d'Ambrosio. Dennoch durfte der Belgier am Wochenende erstmals den Ausblick von der obersten Treppchenstufe genießen. Denn bei seinen zwei vorausgegangenen Rennsiegen in Berlin 2015 und Mexiko-Stadt 2016 profitierte er von einer nachträglichen Disqualifikation des ursprünglichen Rennsiegers (in beiden Fällen Lucas di Grassi). Der Belgier hörte somit zum ersten Mal seine Hymne bei der Siegerehrung.
Stoffel Vandoorne gewann seines Zeichens erneut den FANBOOST mit mit etwas mehr als 25 Prozent aller abgegebenen Stimmen. Auch Massa und Felix da Costa hätten den 250-kW-Modus wie zuletzt in Diriyya nutzen können, wenngleich lediglich der Portugiese seinen Schub einsetzte. Überraschenderweise bekam keiner der beiden Audi-Piloten am Wochenende einen FANBOOST. Es ist das erste Mal seit dem Berlin E-Prix 2016 an der Karl-Marx-Allee, dass das Team im Fan-Voting leer ausging.
Mit Attack-Mode im Zielsprint
Deutlich besser als noch in Diriyya klappte jedoch die Aktivierung des neuen Attack-Mode, der für viel Spannung im Rennen sorgte. 13 von 19 Fahrern, die in der Schlussphase noch im Rennen waren, aktivierten den 25-kW-Schub für den Re-Start nach der späten Safety-Car-Phase. Abgesehen davon war der "beliebteste" Zeitpunkt für den Attack-Mode Runde 19, in der gleich acht Fahrer mit 225 kW um die Strecke fuhren. Nachdem in Diriyya eine Tendenz zur zweiten Rennhälfte zu erkennen war, offenbarte sich in Marrakesch eher eine Verschiebung der Attack-Mode-Nutzung in Richtung Rennmitte.
The obligatory look at Attack Mode activations in Marrakesh. Most drivers obviously activating the 25 kW boost behind the SC for the restart. Apart from that, things look more like a Gaussian bell curve this time. @eFORMELde #ABBFormulaE pic.twitter.com/KNCmL7ccyR
— Tobi Bluhm (@TobiTweetings) 14. Januar 2019
Kommen wir zur Auswertung, doch eines vorweg: Unsere Performance-Analyse ist natürlich nicht frei von gewissen Einflüssen, beispielsweise absichtliches Langsamfahren im Freien Training oder aber Fahrfehler im Qualifying, die wir leider nicht vollständig herausfiltern können. In Marrakesch waren die Rundenzeiten der Fahrer zudem äußerst nah beieinander - zwischen Platz 1 und Platz 15 lagen im Qualifying genau 0,929 Sekunden!
Buemi gewinnt Performance-Rating, 3 weitere Überraschungen in den Top 5
Der Gewinner in der Fahrerwertung unserer Performance-Analyse ist dieses Mal Sebastien Buemi mit 99,79 Prozent. Der Schweizer war zwar in keiner einzigen Session der Schnellste, lag aber sowohl in den Freien Trainings als auch in Qualifying und Rennen immer nur ganz minimal hinter der Bestzeit. Diese enorme Konstanz bedeutet den ersten Platz für ihn. Im Rennen wurde er ein Opfer der Startkollision zwischen Sam Bird und Jean-Eric Vergne - Buemi musste nach außen ausweichen und fiel weit zurück. Am Ende reichte es nur zu Platz 8.
Ganz knapp dahinter folgt mit 99,77 Prozent Jaguar-Pilot Mitch Evans. Der Neuseeländer gewann mit einer Rekordrunde das 2. Freie Training und schaffte es in die Super-Pole, wo er wegen eines Fahrfehlers jedoch Letzter wurde - am Ende Startplatz 5. Auch er musste Vergne ausweichen und fiel in der ersten Runde weit zurück. Das Ziel erreichte er unmittelbar hinter Buemi. Dann folgt eine große Lücke zu Andre Lotterer, der auf 99,30 Prozent kam und damit der stärkere der beiden DS-Piloten ist. Aber auch für ihn reichte es im Rennen nur zu Platz 6, nachdem er wegen eines Fahrfehlers im Qualifying von Startplatz 20 starten musste.
Vierter in unserem Ranking wurde Antonio Felix da Costa mit 99,27 Prozent vor Nelson Piquet jr. mit 99,23 Prozent. Der Portugiese war auf dem Weg zu einem sicheren Podium oder vielleicht sogar dem Sieg. Was dann geschah, haben wir ja bereits ausreichend thematisiert. Piquet wurde, genau wie Buemi und Evans, Opfer des Startunfalls und fiel weit zurück.
Doch wo bleiben die Fahrer, die es am Ende auf das Podest geschafft haben? Sam Bird liegt dank seiner Pole-Position mit 99,22 Prozent immerhin noch auf Platz 6, Robin Frijns mit 99,06 Prozent aber nur auf Platz 10. Und Sieger d'Ambrosio kam mit 98,37 Prozent sogar nur auf Platz 19! Frijns und d'Ambrosio hatten beide kein gutes Qualifying und kämpften am Rennenende, als die schnellsten Runden gefahren wurden, hart um den Sieg - kontraproduktiv, wenn man eine schnelle Rundenzeit erzielen will.
Auch Jean-Eric Vergne (Platz 8; 99,18 Prozent) und Lucas di Grassi (Platz 16; 98,72 Prozent) sind nach schwachen Zeiten im Freien Training (das wir genau so stark gewichten wie Qualifying oder Rennen) nicht auf den vordersten Plätzen zu finden.
Ein Blick auf die übrigen Deutschen: Pascal Wehrlein (99,03 Prozent) liegt auf Platz 11, Daniel Abt (98,91 Prozent) auf Platz 14 und Maximilian Günther erreichte nur den 22. und letzten Rang. Auch wenn der Dragon-Pilot eine gute Aufholjagd im Rennen zeigte, betrug seine schnellste Rundenzeit am Renntag 1:20.201 Minuten - fast drei Sekunden langsamer als Mitch Evans im 2. Freien Training.
Das Performance-Rating zum Marrakesch E-Prix
Sehr enges Mittelfeld
Wenn man die Rückstände anhand der Rundenlänge (2,971 km) in Meter umrechnet, ergibt sich pro Runde folgendes Bild: Buemi liegt 60 Zentimeter vorne, Lotterer verliert dann aber bereits 14 Meter auf Evans. Nur 77 Zentimeter dahinter kommt Felix da Costa und weitere 1,19 Meter Piquet auf Platz 5. Wie eng es im Mittelfeld zugeht, verdeutlicht der Rückstand von Wehrlein auf Platz 11: Er liegt genau 5,53 Meter hinter Piquet. Max Günther hingegen verliert auf eine Runde durchschnittlich 63 Meter auf die Spitze, auf den Vorletzten, Tom Dillmann, fehlen ihm mehr als 12 Meter.
Nissan & Jaguar auf Augenhöhe
Die Ergebnisse der Fahrer lassen darauf schließen, dass auch bei den Teams weder Mahindra noch Virgin oder BMW vorne liegen. Und so ist es auch: Nissan holt sich mit 99,79 Prozent zum ersten Mal den Sieg in unserer Wertung - knapp vor Jaguar (99,77) und DS Techeetah (99,45).
Auf den Plätzen dahinter folgen Audi mit 99,38 Prozent, BMW mit 99,28 Prozent und Virgin, die es auf 99,27 Prozent brachten. Es folgt eine Lücke zu Dragon (99,08), NIO (98,91) und Venturi (98,69). Das Ende des Feldes bilden Mahindra mit 98,61 Prozent und HWA. Der deutsche Neueinsteiger schaffte es lediglich auf 98,41 Prozent.
Auch hier wieder die traditionelle Umrechnung: Nissan liegt 60 Zentimeter vor Jaguar, DS folgt weitere 9,45 Meter zurück. Audi verliert 2,06 Meter, BMW noch mal 3,06 Meter und Virgin weitere 49 Zentimeter. Mehr als eine Fahrzeuglänge weiter hinten, 5,47 Meter um genau zu sein, liegt Dragon, ihrerseits etwa eine weitere Fahrzeuglänge (5,19 Meter) vor NIO. Venturi verliert 6,35 Meter, Mahindra 2,42 Meter und HWA 6,11 Meter - was insgesamt rund 41 Meter Rückstand auf die Spitze bedeutet.
Erklärung des Berechnungssystems
Für jede Session (Freie Trainings, Qualifying und Rennen) wird die jeweils absolut schnellste Rundenzeit durch die persönliche Bestzeit jedes Fahrers geteilt. Das Ergebnis wird anschließend in Prozentpunkte umgerechnet. Für jeden Fahrer werden anschließend die Prozentwerte sämtlicher Sessions addiert und durch die Anzahl der Sessions geteilt. Da die Piloten nur jeweils eine 250-kW-Runde in jedem der beiden Freien Trainings haben, betrachten wir nur das jeweils stärkste Ergebnis der beiden Freien Trainings. Somit ergibt sich der durchschnittliche Performance-Wert, unser "Performance-Rating". Bei den Teams ist das Vorgehen identisch, nur dass hier pro Session allein die schnellere Bestzeit der beiden Fahrer gewertet wird.
Leistet sich ein Fahrer im Qualifying, wo es nur einen Versuch gibt, einen Unfall, einen größeren Fahrfehler oder erzielt in einer Session keine Rundenzeit, fließt diese Session selbstverständlich nicht in die Wertung ein, um das Ergebnis nicht zu verfälschen.
0 Kommentare
Einen Kommentar schreiben