Formel E

"Platz 4 in beiden Meisterschaften enttäuschend" - Porsche verliert Bronze in Formel-E-WM noch an eigenes Kundenteam Andretti

Timo Pape

Timo Pape

Pascal-Wehrlein-Porsche-London-Formel-E-2023

Ein phasenweise herausragendes Jahr für das deutsche Porsche-Team ging am Sonntag in London mit einer herben Enttäuschung zu Ende. Nachdem Pascal Wehrlein den Fahrertitel praktisch schon in Rom verspielt hatte, verlor sein Team beim Formel-E-Saisonfinale sogar noch Platz 3 in der Teamwertung, anstatt mit Envision und Jaguar um den Titel zu kämpfen - ausgerechnet an das eigene Kundenteam Andretti. Wehrlein und Antonio Felix da Costa erklären, was letztlich den Ausschlag gegeben hat.

"Wir hatten so viele Siege wie noch nie (4) und waren noch nie so erfolgreich. Die Welt hat vor fünf Rennen noch ganz anders ausgesehen", erklärt Wehrlein gegenüber e-Formel.de. "Natürlich hatten wir uns höhere Ziele gesteckt, weil wir für eine lange Zeit auch beide Meisterschaften angeführt haben. Deshalb ist Platz 4 in beiden Meisterschaften ein bisschen enttäuschend."

Porsche war bereits mit einem Punktedefizit auf die beiden Jaguar-Teams nach London gereist, hegte jedoch die Hoffnung, noch um die Team-Weltmeisterschaft kämpfen zu können. Tatsächlich lief der Porsche 99X Electric im Rennen tadellos, wie vor allem Antonio Felix da Costa am Samstag mit einer furiosen Aufholjagd auf Platz 2 bewies - bevor er nachträglich bestraft wurde. An der Rennpace hat es 2023 jedoch nie gelegen.

Der entscheidende Unterschied zu Jaguar und Envision in Saison 9 wurde in London einmal mehr deutlich: die Leistung im Qualifying. Mitch Evans und Nick Cassidy standen sich in beiden Finalduellen gegenüber und starteten somit von ganz vorn. Ihre Teamkollegen Sam Bird und Sebastien Buemi kamen ebenfalls bei beiden Rennen in die Top 10 der Startaufstellung. Wehrlein (Startplätze 7 & 10) und Felix da Costa (17 & 20) mussten sich hingegen mühsam nach vorn kämpfen, was gerade im Regenrennen am Sonntag fast unmöglich war.

Qualifying-Schwäche wurde zum titelentscheidenden Faktor

"Wir müssen unsere Qualifying-Performance verbessern, weil wir dort viele Punkte in den Rennen hergeschenkt haben", weiß Wehrlein. "Wenn wir vorn starten, sind wir noch weiter vorn ins Ziel gekommen. Ich werde hart mit dem Team arbeiten, damit wir nächstes Jahr unsere Schwächen ausmerzen können und ein noch besseres Jahr haben."

Wehrlein holte zumeist wohl noch das Maximum aus der fehlenden Quali-Pace des Porsche-Werksteams heraus. Felix da Costa hingegen startete 2023 oftmals noch deutlich weiter hinten. "Wir haben heute wieder gesehen, dass wir weiter an unserem Qualifying arbeiten müssen", ist sich auch der Portugiese bewusst. "Das wird in der Nachsaison unsere große Aufgabe sein. Im Rennen haben wir ein sehr konkurrenzfähiges Auto."

Das Bemerkenswerte ist jedoch: Andretti-Pilot Jake Dennis zeigte über beinahe den gesamten Saisonverlauf hinweg, dass man sich auch mit dem Porsche 99X Electric ganz vorn qualifizieren kann. Der neue Formel-E-Meister startete sechsmal aus der ersten Reihe und holte dabei zwei Pole-Positions. So ergatterte er letztlich 80 WM-Punkte mehr als sein einstiger Titelkonkurrent Wehrlein. Was hat Andretti also im identischen Kunden-Porsche gefunden, das dem Werksteam verborgen blieb?

Weltmeister Dennis hat gezeigt, was im Porsche möglich war

Da Hersteller und Kundenteam - zumindest offiziell - alle Daten miteinander austauschen und mit offenen Karten spielen, kann es kaum an der Software liegen. Bleiben noch zwei andere mögliche Faktoren: Setup und Fahrer. Eine Stellschraube bei Porsche könnte somit sein, sich hinsichtlich der Fahrzeugeinstellung auf eine schnelle Runde zu verstärken.

Oder ist Dennis tatsächlich so viel besser als Wehrlein und Felix da Costa? Eigentlich unwahrscheinlich, wenngleich der Brite auch im Vergleich mit seinem Andretti-Teamkollegen Andre Lotterer in einer eigenen Liga fuhr. Fakt ist und bleibt, dass Porsche eine große Baustelle hat - mehr nicht. Hätte der Hersteller diese früher beheben können, wäre wohl mindestens ein Titel drin gewesen.

So konnten am Sonntag nicht einmal mehr die Strategiespielchen zwischen Porsche und Andretti helfen. Dennis fuhr scheinbar ohne größere Anstrengungen erneut aufs Podium, während Porsche durch Platz 10 von Wehrlein einen einzigen Punkt mit nach Hause nahm. Folgerichtig zog das Kundenteam Andretti auf den letzten Metern noch am eigenen Antriebspartner vorbei und holte sich mit zehn Zählern Vorsprung "Bronze" in der Formel-E-Weltmeisterschaft 2023.

Laudenbach: "Das Ergebnis einer sehr offenen & konstruktiven Zusammenarbeit"

"Ich bin überglücklich, dass das Team den dritten Platz in der Teamwertung erreicht hat", meint ausgerechnet Andretti-Pilot Andre Lotterer, der zum Kontostand des US-Teams (252 Punkte) mickrige 23 Zähler beisteuerte und sich künftig wohl auf sein WEC-Engagement als Porsche-Werksfahrer konzentrieren wird. In seinem wahrscheinlich letzten Formel-E-Jahr wurde Lotterer 18. in der Fahrer-WM und konnte nur selten überzeugen.

Thomas Laudenbach, Leiter von Porsche Motorsport, gibt sich als fairer Verlierer: "Wir gratulieren Jake Dennis zum Gewinn der Fahrerweltmeisterschaft und freuen uns, dass unser Kundenteam Avalanche Andretti diesen Titel mit dem von uns entwickelten Porsche 99X Electric geholt hat. Dieser Erfolg ist das Ergebnis einer sehr offenen und konstruktiven Zusammenarbeit in unserer ersten gemeinsamen Saison." Seine letzte Aussage lässt durchaus Interpretationsspielraum zu, auch wenn sie im Zusammenhang mit dem Fahrertitel getätigt wurde.

Friede, Freude, Eierkuchen also? Mitnichten. Hinter den Kulissen bei Porsche dürfte es heftig brodeln. Gerade mit Blick auf das kürzlich kommunizierte längerfristige Bekenntnis zur Formel E wird der Hersteller aus Schwaben alles daransetzen, um nächstes Jahr den Titel zu holen - und vor allem das eigene Kundenteam zu schlagen.

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