Rennsieger Nick Cassidy über verrückte Aufholjagd von Berlin: "40 Prozent Strategie, 60 Prozent Glück"
Svenja König
"Unverhofft kommt oft" - so kann man wohl den Renntag von Nick Cassidy beschreiben. Nach einem schwierigen Qualifying wählte der Neuseeländer eine extreme Strategie im Rennen und ließ sich bis auf den letzten Platz zurückfallen, um Energie zu sparen. Von dort aus kämpfte er sich an die Spitze des Feldes zurück und feierte im Samstagsrennen von Berlin seinen zweiten Saisonsieg.
Fast ungläubig, das Rennen tatsächlich gewonnen zu haben, sagte er in der Pressekonferenz: "Heute hatte ich sehr viel Glück. Das war circa 40 Prozent Strategie und 60 Prozent Glück."
Die 40 Prozent Strategie gehen zurück auf eine sehr defensive Renneinteilung, vor allem in der ersten Rennhälfte. Denn dort ließ er sich immer weiter zurückfallen und war zur Rennhalbzeit sogar Letzter. Denn am Schluss des Feldes kann man durch den sich verstärkenden Akkordeoneffekt mehr Energie sparen als in der Spitzengruppe. So hatte er in der zweiten Hälfte bis zu fünf Prozent mehr Energie im Akku als seine Konkurrenten und konnte sich innerhalb von wenigen Runden zurückkämpfen.
Eine solch gewagte Strategie sei aber keinesfalls von Anfang an vorgesehen gewesen, sondern das Ergebnis eines schwierigen Rennstarts, erklärt er im Interview mit e-Formel.de. "Das war nicht von vornherein so geplant, sondern hat sich in den ersten ein zwei Runden so ergeben. Wir waren einfach am Anfang nicht schnell genug und haben dann überlegt, was wir tun können."
"Das war ein einziges Gemetzel"
Diese Cassidy-Strategie brachte allerdings auch Risiken mit sich. Zum einen ist durch das verstärkte Aufstauen die Unfallgefahr am Ende des Feldes höher. "Das war ein einziges Gemetzel", sagt Cassidy. "So ein Rennen wie heute habe ich noch nie erlebt. Das ist Wahnsinn am Ende des Feldes. Um diese Strategie umzusetzen, muss man sich aus allem raushalten." Das ist ihm im Gegensatz zu einigen anderen gut gelungen.
Die zweite Herausforderung ist, dass man zum Rennende Gefahr läuft, nicht mehr alle Positionen gutmachen zu können und im Mittelfeld stecken zu bleiben. "Das Team hat mich gut über das Renngeschehen informiert", erklärt Cassidy. So konnte er nicht den Überblick über das Gesamtgeschehen verlieren.
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Evans: "Platz 2 wäre drin gewesen"
Genau das hatte nämlich Teamkollege Mitch Evans befürchtet, der die entgegengesetzte Strategie anwendete. "Ich habe gedacht, dass es etwas schwieriger sein wird, zu überholen, und habe mich deshalb entschieden, vorn mitzufahren", erklärte er nach dem Rennen bei e-Formel.de. Deshalb hatte sich der Neuseeländer früh in der Spitzengruppe positioniert und war darin mitgeschwommen. Ein Strategiewechsel später im Rennen sei dann nicht mehr möglich gewesen. "Auf so eine extreme Strategie hätte man sich von Anfang an konzentrieren müssen."
"Mit der Strategie, die ich hatte, wäre trotzdem ein zweiter Platz drin gewesen", sagt er. Und nur wenige Minuten, bevor Cassidy an die Spitze gestürmt war, hatte er in Führung gelegen. Doch er ließ sich kurz vor Schluss zurückfallen, um Energie zu sparen. Danach musste er sich gegen Pascal Wehrlein verteidigen und konnte keinen Angriff mehr auf Vergne und Rowland setzen. "Am Ende hat die Track-Position in den letzten Runden den Unterschied gemacht. Das ist natürlich trotzdem enttäuschend, wenn man sieht, was möglich gewesen wäre."
"Gemessen an unseren eigenen Ansprüchen nicht gut genug"
Trotz des Sieges, eines Top-4-Ergebnisses und der Führung in der Fahrer-, Teams- und Herstellerwertung ist man bei Jaguar nach Rennen 1 von Berlin nicht ganz zufrieden, insbesondere nicht mit dem Qualifying. Hier hatte die Pace gefehlt, um die Duellphase zu erreichen und sich eine gute Startposition zu sichern: "Wir waren heute einfach nicht schnell genug", fasst Cassidy zusammen. "Wir waren Neunter und Zehnter im Qualifying, das ist gemessen an unseren eigenen Standards nicht gut genug. Da haben wir noch viel Arbeit vor uns werden dementsprechend lang heute Abend dran arbeiten."
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