Sind Pit-Boost-Rennen zu kompliziert? Formel E erwägt Regeländerungen für Saison 12
Tobias Wirtz

Jake Osborne / Spacesuit Media
Nach der ersten Gen3-Evo-Saison steht das Rennformat der Formel E auf dem Prüfstand. Das berichten die Kolleg:innen von The Race. Stein des Anstoßes sind offenbar die Rennen mit Pit-Boost-Stopps, die von vielen Beteiligten im Paddock in der aktuellen Form als zu verwirrend empfunden werden. Fans und TV-Zuschauer tun sich dabei schwer, den Überblick zu behalten.
Es war die große Neuerung im Formel-E-Rennformat der Saison 2024/25: Alle Piloten mussten im ersten Rennen eines "Double-Headers" zu einem Pflichtboxenstopp fahren, bei dem innerhalb von 30 Sekunden Standzeit 3,85 kWh Energie nachgeladen werden. Gemeinsam mit dem Attack-Mode ergaben sich viele mögliche Strategien. Manche Piloten steuerten frühestmöglich die Box an und aktivierten direkt im Anschluss den ersten ihrer beiden Attack-Modes, andere hoben sich den Boxenstopp und beide Attack-Mode-Aktivierungen bis zur Schlussphase auf. Wieder andere Fahrer aktivierten den ersten Attack-Mode bereits vor dem Boxenstopp.
Insbesondere die vielen unterschiedlichen Strategiemöglichkeiten durch den Attack-Mode - die Fahrer konnten die Zeit von acht Minuten Mehrleistung auf drei verschiedene Möglichkeiten aufteilen - sorgten dafür, dass die Rennen teilweise als äußerst chaotisch wahrgenommen wurden. So war im engen Feld oftmals kaum nachzuvollziehen, warum ein Fahrer nach seinem Boxenstopp mit Schnellladung Positionen gewonnen oder verloren hatte.
So lag in Jeddah Max Günther, der sich vor den Pit-Boost-Stopps mit Oliver Rowland um die Führung duellierte, nach den Boxenstopps nur auf dem sechsten Platz. Am Ende gewann er das Rennen nach einer spektakulären Attacke in der finalen Schikane trotzdem - unsere Leser:innen wählten die Attacke zum Überholmanöver des Jahres.
Günther: "Das kann eine gute Sache sein"
Die Verwirrung, die sich in diesen Rennen nicht nur bei Fans, sondern auch teilweise bei den Live-Kommentatoren im TV breit machte, sorgt dafür, dass die Verantwortlichen der Rennserie sich Alternativen überlegen. Ein völliger Verzicht auf den Attack-Mode mit 350 kW und Allradantrieb ist keine Option, aber die Formel E zieht in Erwägung, in Pit-Boost-Rennen nur eine Aktivierung der Zusatzleistung zuzulassen. Die Pläne sollen sich jedoch nur auf einzelne Rennen beziehen - nicht auf alle.
"Diese Änderung kann eine gute Sache sein, da es mehr auf die Leistung ankommt und die Rennen tendenziell weniger chaotisch werden", so DS-Penske-Fahrer Max Günther bei The Race. "Es verringert auch das Risiko, bei einem Safety-Car oder einer Full-Course-Yellow Glück oder Pech zu haben." Einigkeit besteht unter den Fahrern hier jedoch keineswegs. Formel-E-Weltmeister Oliver Rowland sieht das beispielsweise anders. "Das ändert nicht viel", so der Nissan-Pilot. Stattdessen müsse die Formel E daran arbeiten, "die Übertragung im Fernsehen zu verbessern."
Die notwendige Änderung des Sportlichen Regelwerks wurde von der Sporting Working Group der Formel E bereits beschlossen und der Formel-E-Kommission vorgelegt werden, die das Regelwerk für die FIA erarbeitet. Anschließend soll dieses im Rahmen des nächsten Meetings des Motorsport-Weltrates der FIA verabschiedet werden, das am 16. Oktober stattfinden wird.
Kommen weitere Regeländerungen beim Attack-Mode?
Das soll aber nicht die einzige Änderung sein, die im Zusammenhang mit dem Attack-Mode vorgenommen werden soll. Die FIA plant die Abschaffung von Strafen, sollte der Attack-Mode bis zum Rennende nicht komplett abgelaufen sein. Auslöser ist das chaotische Finale beim Miami E-Prix, als eine Safety-Car-Phase kurz vor Rennende dafür sorgte, dass mehrere Fahrer den Attack-Mode zu spät aktivierten. Norman Nato ging auf den letzten Metern noch an Pascal Wehrlein vorbei und fuhr als Erster über die Ziellinie, wurde aufgrund der fälligen Zeitstrafe jedoch nur als Sechster gewertet.
"Es ist bereits ein Nachteil, ihn nicht (komplett) zu nutzen, daher sollte man nicht zusätzlich bestraft werden, wenn man ihn nicht (während des Rennens) beenden kann", findet Rowland Eine Anpassung "ist eine gute Sache, und ich denke, dass es das Racing ein wenig besser machen wird." Hier gibt es jedoch einige Bedenken auf Seiten der Teams: Es wird befürchtet, dass diese Änderung dafür sorgen wird, dass alle Fahrer dieselbe Strategie fahren werden und den Attack-Mode so aktivieren, dass er kurz nach der Ziellinie ablaufen wird.
Darüber hinaus soll die Serie auch in Erwägung gezogen haben, im Fall einer Full-Course-Yellow, einer Safety-Car-Phase oder einer roten Flagge die Uhr beim Attack-Mode anzuhalten. Damit will man verhindern, dass Fahrer unverschuldet den Vorteil der zusätzlichen Leistung verlieren. "Meiner Meinung nach wäre es am wichtigsten, die Zeit für den Attack-Mode bei einem Safety Car oder einer Full-Course-Yellow anzuhalten und sie weiterlaufen zu lassen, wenn das Rennen wieder grün ist", sieht Max Günther dies als große Baustelle der Rennserie. Diese Änderung soll jedoch für die kommende Saison nicht umgesetzt werden.
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