Formel E

Software in der Formel E: Schlüssel zum Erfolg dank großem Entwicklungsspielraum

Timo Pape

Timo Pape

In der stark umkämpften Formel E entscheiden oftmals Kleinigkeiten zwischen Sieg und Niederlage. Denn nach wie vor verfolgen Serienboss Alejandro Agag und Co. den Ansatz, den Herstellern nur gewisse Bereiche zur Entwicklung freizugeben - unter anderem, um die Kosten im Griff zu behalten. Beinahe unbegrenzt dürfen sich die Teams eigentlich nur in einem Bereich austoben und selbst während der Saison stetig weiter optimieren: bei der Software.

Zwar steckt das Reglement der Formel E gewisse Rahmenbedingungen, wie etwa das Verbot einer Traktionskontrolle. Trotzdem ist die Weiterentwicklung von Software - im Gegensatz zu vielen anderen Rennserien mit Einheitssoftware - für alle Teams komplett freigegeben. Damit bietet sie den Serienteilnehmern auch zwischen den Rennen enorme Optimierungsmöglichkeiten, denn sobald ein Rennfahrzeug erst einmal für die neue Saison homologiert ist, sind technische Weiterentwicklungen an der Hardware nicht mehr möglich. Dann darf nur noch an der Software gefeilt werden.

Der richtige Code kann direkten Einfluss auf die Performance haben. Konkret geht es zum Beispiel um das Ausreizen beziehungsweise Einhalten der maximal erlaubten Leistung (bisher 180 kW im Rennen) und der maximal nutzbaren Energie (28 kWh pro Fahrzeug). "Wer sich da nur auf 99 Prozent annähert, hat eben ein Prozent weniger Leistung als die Konkurrenz. Und wer ein Prozent zu viel verbraucht, ist raus", erklärt Sven Wergandt, Programm Manager für den Geschäftsbereich Motorsport bei ITK Engineering, gegenüber 'e-Formel.de'.

Als langjähriger Technikpartner von Audi Sport unterstützt ITK Engineering seit 2016 die Softwareentwicklung für die Fahrzeuge von Lucas di Grassi und Daniel Abt. Dies umfasst unter anderem die Steuerung des Antriebsstranges inklusive der Energiestrategie und der Cockpitanzeige, die als Mensch-Maschine-Schnittstelle etwa die Energiewerte visualisiert.

Bei der Zusammenarbeit mit Audi Sport deckt das international tätige Technologieunternehmen aus dem pfälzischen Rülzheim den gesamten Software-Entwicklungszyklus ab. Im Bereich Funktionen optimiert ITK die Leistungs- und Momentenregler. Ziel ist es, mithilfe intelligenter Software zum Sieg in der Formel E beizutragen. "Wir unterstützen das Team dabei, die Potenziale der Fahrzeuge optimal zu nutzen, um einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten", sagt Thomas Schiller, Leiter des Geschäftsbereichs Motorsport bei ITK Engineering.

Energiemanagement als Schlüsselelement

Die entwickelten Algorithmen sorgen dafür, dass die vor einem E-Prix berechneten Strategien und Energieverteilungen auf dem Fahrzeugsteuergerät erscheinen. Während des Rennens müssen sie sich in Echtzeit den jeweiligen Bedingungen anpassen. "In der Formel E gibt es so gut wie keine Telemetrie vom Fahrzeug in die Box", erklärt uns Wergandt. "Daher muss das Fahrzeug, also die Software, möglichst autark funktionieren. Insbesondere was die Energieverteilung betrifft, sind Fahrer und Fahrzeug mehr oder weniger auf sich allein gestellt."

ITK sieht sich demnach vor jedem Rennen erneut mit schwierigen Fragen konfrontiert: Was sind die besonderen Herausforderungen der Strecke? An welchen Stellen wird viel Energie verbraucht? Wo genau auf der Strecke müssen die Piloten wie viel Energie sparen, um insgesamt ideal unterwegs zu sein? "Selbst wenn man das für eine konkrete Situation berechnen kann - in der Realität finden wir oftmals eine veränderte oder gar neue Rennstrecke vor", gibt Wergandt zu bedenken und nennt Beispiele.

"Das Wetter beziehungsweise die Temperaturen können sich ändern, zudem können wir den Rennverlauf nicht vorhersehen. Safety-Car- und Full-Course-Yellow-Phasen spielen da ebenso eine Rolle wie Zweikämpfe", erläutert er. "Je nach Rennsituation ist es dann vielleicht besser, eine andere Software-Strategie zu fahren, die die optimale Energieverteilung sicherstellt und die Durchschnittsgeschwindigkeit maximiert."

Der Faktor Zeit

Die Teams sammeln bei jedem Rennen wertvolle Erfahrungen. Um das Gelernte in Performance umzusetzen, bleibt oftmals jedoch sehr wenig Zeit. "Der Entwicklungszyklus ist sehr knapp - teilweise zwei Rennen innerhalb von zwei Wochen", sagt Wergandt. "Innerhalb dieser Zeit muss man seine Erfahrungen auswerten, Potenziale analysieren, Änderungen definieren, alles umsetzen, testen und für das kommende Rennen parametrieren. Und letztlich das Team an der Rennstrecke informieren beziehungsweise schulen." In die Optimierungsarbeit zwischen den Rennen fließen neben den objektiven Messdaten übrigens auch Wünsche und Ideen von Fahrern und vom Team sowie Beobachtungen der Konkurrenz ein.

Das besondere Eventformat der Formel E - alle Sessions eines E-Prix finden am selben Tag statt - ist die nächste Herausforderung, denn ohne reale Fahrzeugtests muss die gesamte Event-Vorbereitung virtuell stattfinden. "Am Renntag selbst bleibt keine Zeit für großartige Iterationen oder Anpassungen. Das lässt sich nur in der virtuellen Welt vorbereiten und testen, also in Simulationen und am Fahrsimulator", erklärt Wergandt. "Was man mit zur Rennstrecke bringt, muss eigentlich gleich auf Anhieb funktionieren."

Hans-Jürgen Abt, der als Teamchef des ABT-Teams 2017 den Meistertitel mit seinem Fahrer Lucas di Grassi gewann, weiß um die Bedeutung der Software: "In der Formel E müssen Software und Antriebsstrang reibungslos zusammenspielen, sodass sich unsere Fahrer hundertprozentig auf alles verlassen können - das ist der Schlüssel zum Erfolg in dieser Rennserie." Unter Beweis stellte dies auch das Renault-Kundenteam Techeetah, das während der vergangenen Saison beinahe Teamchampion wurde und dabei den Renault-Werkseinsatz trotz identischer Hardware klar hinter sich ließ. Einen erheblichen Anteil daran hatte die Software.

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