Formel E

Team-für-Team-Halbzeitanalyse zur Formel-E-Saison 2023: Porsche vs. Jaguar

Tobias Wirtz

Tobias Wirtz

Das Sonntagsrennen von Berlin markierte die Halbzeit der Formel-E-WM 2023. Nach acht von 16 absolvierten Rennen führen Porsche und Pascal Wehrlein die Team- und Fahrerwertungen der Elektromeisterschaft an, wenngleich der Vorsprung auf ihre nächsten Verfolger in Deutschland geschmolzen ist. Wie die elf Formel-E-Rennställe nach der ersten Jahreshälfte aufgestellt sind, liest du in unserer Team-für-Team-Halbzeitanalyse.

Seit dem Saisonauftakt in Mexiko-Stadt absolvierte die Formel E insgesamt 303 Rennrunden, auch wenn nur fünf Fahrer alle Umläufe des Jahres miterlebt haben. Die meisten Sessions gewannen Sam Bird, Sebastien Buemi und Mitch Evans (je 5). Die meisten Qualifying-Duelle fuhr Buemi (12), und die beste Durchschnittsposition im Rennen erzielte Nick Cassidy (5,1).

Abgesehen von den Zahlen, Daten, Fakten und Statistiken spielten sich in der ersten Jahreshälfte jedoch einige weitere interessante Geschichten auf und neben der Formel-E-Strecke ab. Diese beleuchten wir in unserer traditionellen Halbzeitanalyse (zur Analyse 2022).

Hackordnung in der Formel E zur Saisonhalbzeit 2023

Platz 1 | TAG Heuer Porsche | 168 Punkte

Rennsiege:
3

Pole-Pos.:
0

Führungsrunden:
49

Podien:
5

In der Gen3-Ära scheint der Knoten bei Porsche endgültig geplatzt zu sein: Nach drei Siegen in den ersten acht Rennen führt das Team die Teamwertung mit 15 Punkten Vorsprung an.

Pascal Wehrlein gewann nach dem zweiten Platz beim Saisonstart beide Rennen des "Double-Headers" in Diriyya, weshalb zunächst ein Durchmarsch des Teams aus Weissach befürchtet wurde. Zuletzt gerieten die Deutschen jedoch leicht ins Hintertreffen, weshalb die Spitze nach den Berlin-Rennen eng zusammengerückt ist. Unschuldig sind die Fahrer daran jedoch nicht vollständig: Nach Wehrlein in Kapstadt verlor auch Felix da Costa in Sao Paulo durch einen Fahrfehler wichtige Punkte. Pech für Felix da Costa, dass er im Samstagsrennen von Berlin von Jake Dennis abgeräumt wurde.

Nichtsdestotrotz: Sowohl Wehrlein als auch Antonio Felix da Costa, der das Rennen in Kapstadt gewann, zählen im Jahr 2023 definitiv zu den großen Titelfavoriten.

Platz 2 | Envision Racing | 153 Punkte

Rennsiege:
1

Pole-Pos.:
2

Führungsrunden:
68

Podien:
4

Erster Verfolger des Porsche-Werksteams ist ein Kundenteam: Envision Racing liegt in der Teamwertung nach acht von 16 Rennen vor dem mit identischen Antrieben starteten Jaguar-Werksteam. 15 Punkte beträgt der Rückstand der Briten auf die Spitze.

Das vorherige Audi-Kundenteam konnte zwar nur einen Rennsieg feiern, fällt aber vor allem durch seine hohe Konstanz auf: Beide Fahrer des Teams punkten sehr regelmäßig. Insbesondere Nick Cassidy hat aktuell "einen Lauf" und ist nach seinem Sieg in Berlin mittendrin im Titelkampf. Sebastien Buemi konnten selbst Kollisionen mit Pascal Wehrlein in Kapstadt und mit Max Günther in Sao Paulo nicht davon abhalten, am Ende noch unter die Top 10 zu fahren. In Brasilien gar mit gebrochener Hand.

Wenn das Team seine Performance - insbesondere im Qualifying - auch in der zweiten Saisonhälfte beibehalten kann, können beide Piloten ein gewichtiges Wort im Kampf um den Titel mitreden.

Platz 3 | Jaguar TCS Racing | 138 Punkte

Rennsiege:
2

Pole-Pos.:
1

Führungsrunden:
67

Podien:
5

Jaguar ist zur Saisonhalbzeit das Team der Stunde: Nach eher durchwachsenem Saisonstart inklusive teaminterner Kollision in Hyderabad zeigte die britische "Raubkatze" an den letzten beiden Rennwochenenden in Sao Paulo und Berlin eine bärenstarke Leistung.

Mitch Evans konnte sich dabei zweimal hintereinander zum Rennsieger küren, aber auch Teamkollege Sam Bird stand zweimal in Folge auf dem Podium. Beim Samstagsrennen in Berlin gelang Jaguar dabei der erste Doppelsieg der Teamgeschichte.

Wenn das Team seine Leistung aus den vergangenen Rennen auch in den kommenden Läufen zeigen kann, müssen sich Porsche und Envision Racing an der Spitze warm anziehen.

Platz 4 | DS Penske | 107 Punkte

Rennsiege:
1

Pole-Pos.:
1

Führungsrunden:
41

Podien:
3

Mit dem neuen Antriebslieferanten DS ist dem Penske-Team ein großer Sprung nach vorn gelungen: Mit 107 Punkten hat das Team zur Saisonhalbzeit bereits mehr Zähler gesammelt als in jeder vollen Saison seit 2015/16.

Insbesondere Jean-Eric Vergne sorgte für gute Ergebnisse: 81 Punkte gehen auf das Konto des Franzosen, der in Hyderabad den ersten Sieg für das Team seit dem Mexico City E-Prix 2016 erzielte. Zwar konnte sich Teamkollege Stoffel Vandoorne die Pole-Position in Sao Paulo sichern, im Rennen führte er jedoch "zu lange Zeit" und war am Rennende chancenlos. Auch seine anderen Rennergebnisse waren bislang nur mittelmäßig. Im Mittelfeld ist das Risiko einer Kollision deutlich höher, wie der Belgier in Berlin spüren musste. Während Vergne WM-Dritter ist, liegt der amtierende Champion nur auf Platz 11.

Sollte Vandoorne seine Form aus der Vorsaison wiederfinden, ist DS Penske in dieser Saison noch einiges zuzutrauen: Der Rückstand auf die Spitze ist nicht uneinholbar.

Platz 5 | Avalanche Andretti | 103 Punkte

Rennsiege:
1

Pole-Pos.:
0

Führungsrunden:
35

Podien:
4

Nachdem Andretti zu Saisonbeginn mit dem Auftaktsieg und zwei zweiten Plätzen von Jake Dennis in Folge zu den Titelkandidaten zählte, folgte der Rückfall ins Mittelfeld: Aus den vier folgenden Rennen in Hyderabad, Kapstadt, Sao Paulo und dem Samstagsrennen in Berlin nahm das Team insgesamt nur neun Zähler mit, die Andre Lotterer erzielte. Dennis wurde mehrmals in Kollisionen verwickelt - in Hyderabad und Sao Paulo jeweils unschuldig, in Berlin lag die Schuld beim Briten bzw. in der Technik.

Mit dem zweiten Platz beim Sonntagsrennen in der deutschen Hauptstadt konnte Dennis jedoch erstmals wieder punkten und zeigen, dass die Performance beim Kunden-Porsche definitiv noch vorhanden ist. Er schob sich auf den vierten Platz in der Fahrerwertung. Lotterer hingegen liegt nach acht von 16 Saisonrennen nur auf dem 13. Rang und wartet seit dem Saisonauftakt auf ein Top-7-Resultat. Er muss in der zweiten Saisonhälfte dringend eine Schippe drauflegen, möchte er auch 2024 Formel E fahren.

Platz 6 | Neom McLaren | 72 Punkte

Rennsiege:
0

Pole-Pos.:
1

Führungsrunden:
8

Podien:
1

Nach der Übernahme des Teams von Mercedes-EQ durch McLaren war zunächst unklar, wie der Rennstall performen würde. Einerseits wirkt sich positiv aus, dass große Teile des Personals, darunter Ingenieure und Teamchef Ian James, aus der Mercedes-Ära übernommen wurden. Der neue Nissan-Antrieb und zum Teil auch die neuen Fahrer sind bislang allerdings noch nicht auf Topniveau.

Zwar zeigte Formel-E-Debütant Jake Hughes immer wieder sein Potenzial auf eine schnelle Runde - in Diriyya erzielte er gar die erste Pole-Position für McLaren in der Rennserie. In den Rennen war der deutlich erfahrene Rene Rast nach einem Jahr Formel-E-Pause aber der bessere und konstantere Pilot. Folgerichtig liegt der Deutsche, der in Diriyya das erste und bislang einzige McLaren-Podium in der Formel E erzielte, in der WM-Wertung einen Platz vor seinem Teamkollegen. Es zeigte sich aber auch, dass die Effizienz des Nissan-Antriebs aktuell noch nicht auf dem Niveau von Jaguar oder Porsche ist.

In der Teamwertung fehlt McLaren zur Saisonhalbzeit schon ein ganzes Stück auf Penske und Andretti. Um diesen Rückstand aufzuholen, müssen dringend gute Ergebnisse her. Zuletzt zeigte die Formkurve bei den Papaya-Orangenen jedoch nach unten: Das Team reiste ohne einen einzigen Zähler aus Berlin ab.

Platz 7 | Maserati MSG Racing | 29 Punkte

Rennsiege:
0

Pole-Pos.:
0

Führungsrunden:
11

Podien:
1

Große Hoffnungen hatte das frühere Venturi-Team nach den Vorsaisontests in Valencia: Neuzugang Max Günther war dort der dominante Pilot gewesen, aber auch Teamkollege Edoardo Mortara war immer unter den Schnellsten in Spanien.

Die erste Saisonhälfte kann daher nur als herber Schlag ins Gesicht für die monegassische Truppe gewertet werden: Nur viermal kam ein Fahrer des Teams in die Top 10. In der Meisterschaft belegen Günther und Mortara nur die Positionen 12 und 20. Ganz vorn sind die blauen Renner mit dem Dreizack bislang nur in der Crash-Statistik: Günther warf in Kapstadt eine gute Position mit einem Fahrfehler weg, in Diriyya verpasste er das erste Rennen komplett aufgrund eines Unfalls im Qualifying. Mortara verunfallte noch häufiger. Seiner Unzufriedenheit mit den Leistungen der Piloten machte Teamchef James Rossiter vor dem Berlin E-Prix öffentlich Luft.

Dass das Tempo des Antriebs grundsätzlich vorhanden ist, zeigten Maseratis Stellantis-Schwestermarke DS bereits seit Saisonbeginn sowie Max Günther in Berlin mit den Positionen 3 und 6 - trotz Starts aus der letzten Reihe. Bleibt zu hoffen, dass das erste Formelsport-Podium für die italienische Marke seit mehr als 60 Jahren keine Eintagsfliege war, sondern einen Aufwärtstrend des Teams einleitet.

Platz 8 | Mahindra Racing | 27 Punkte

Rennsiege:
0

Pole-Pos.:
1

Führungsrunden:
11

Podien:
1

Mahindra Racing darf nach der ersten Saisonhälfte der Gen3-Ära als der große Verlierer bezeichnet werden: Die Leistungen der Inder bleiben bislang weit hinter den Erwartungen zurück. Insbesondere im Rennen zeigt sich, dass die Effizienz des von ZF Friedrichshafen entwickelten Antriebs nicht auf Topniveau ist.

Lediglich Lucas di Grassi sorgte mit der Pole-Position und dem dritten Platz beim Saisonauftakt in Mexiko-Stadt für den einzigen Lichtblick der bisherigen Saison. Das war jedoch nicht dem Auto zu verdanken, sondern fast ausschließlich di Grassis großartiger fahrerischer Leistung und den Fehlern der anderen Piloten, insbesondere im Qualifying. Tiefpunkt des Jahres war mit Sicherheit das Rennen in Kapstadt, als Mahindra seine Fahrzeuge nach Defekten im Bereich der Radaufhängung nach dem Freien Training zurückziehen musste.

Teamkollege Oliver Rowland konnte bislang noch nicht glänzen, profitierte beim Heimspiel des Teams mit Platz 6 jedoch davon, dass weiter vorn platzierte Konkurrenten nach Unfällen ausschieden. Die Formkurve bei Mahindra zeigt weiterhin nach unten: Große Erfolge sind in dieser Saison so nicht mehr zu erwarten. Stattdessen ist es nur eine Frage der Zeit, bis die schnelleren Autos von Nio 333 und Nissan in der Gesamtwertung an den Indern vorbeiziehen werden.

Platz 9 | Nio 333 Racing | 20 Punkte

Rennsiege:
0

Pole-Pos.:
0

Führungsrunden:
6

Podien:
0

Dass Nio 333 Racing in dieser Saison einen großen Schritt nach vorn gemacht hat, zeigt insbesondere Dan Ticktum im Qualifying immer wieder. Seinen gerade dort stark eingeschätzten Teamkollegen Sergio Sette Camara hat er klar im Griff. Das Team schaffte es in Berlin erstmals mit beiden Fahrzeugen in die Duellphase des Qualifyings.

In den Rennen zeigt sich jedoch, dass der Antrieb des chinesisch-britischen Teams bislang noch nicht auf Topniveau ist: Insbesondere Ticktum verliert im Rennen sehr viele Positionen, überwiegend an Fahrer mit effizienteren Antrieben. Lediglich dreimal gelang es ihm, das Rennen unter den ersten Zehn zu beenden.

Der Brite versucht offenbar, die fehlende Effizienz mit riskanten und teilweise rücksichtslosen Manövern im Rennen auszugleichen, was nur bedingt Erfolg hat. Stattdessen führt er "souverän" die Liste der Fahrer mit Strafpunkten in der Elektroserie an. Macht er in der zweiten Saisonhälfte so weiter wie bislang, droht ihm gar eine Rennsperre. Auch seine Beliebtheit bei den Fahrerkollegen wird dadurch sicherlich nicht größer, wie zuletzt Stoffel Vandoorne und Jake Dennis zeigten.

In Hyderabad bewies Sette Camara jedoch, dass für Nio 333 gute Positionen durchaus in Reichweite liegen, wenn bei der Konkurrenz etwas schief läuft: Er erzielte das erste Top-5-Ergebnis für das Team seit fünf Jahren.

Was die Pace angeht, ist Nio 333 Racing mit Sicherheit besser, als es der neunte Platz in der Teamwertung vermuten lässt. Die Fahrer müssen es lediglich fehlerfrei und im Rennen auch auf ein bisschen Glück hoffen, dann liegt Mahindra Racing absolut in Reichweite.

Platz 10 | Nissan Formula E | 18 Punkte

Rennsiege:
0

Pole-Pos.:
1

Führungsrunden:
1

Podien:
0

Die aktuelle Saison läuft für das Nissan-Werksteam bislang überhaupt nicht rund. Mit Sacha Fenestraz und Norman Nato startete der japanische Hersteller, der im vergangenen Jahr das e.dams-Team von der Driot-Familie übernommen hatte, mit dem unerfahrensten Fahrerduo in die Saison.

Insbesondere die Rennpace des Nissan erweist sich als ausbaufähig. Hinzu kamen Kollisionen in Mexiko-Stadt, Kapstadt und Sao Paulo, die dem Team die Chancen auf weitere Zähler raubten. Zwar konnte Sacha Fenestraz eine überraschende Pole-Position in Kapstadt feiern. In den Rennen ließen die Ergebnisse jedoch zu wünschen übrig, was sich auch in Berlin erneut zeigte.

Dies mag zum Teil sicherlich am Antrieb liegen, der in puncto Effizienz nicht an die Motoren von DS/Maserati, Jaguar und Porsche heranreicht. Die Performance des Kundenteams McLaren zeigt jedoch, dass mit dem Nissan-Paket deutlich mehr möglich ist, als Fenestraz und Nato bislang herauskitzeln konnten.

Aber: Auch nach einer schwachen ersten Saisonhälfte liegen Mahindra und Nio 333 für die Japaner definitiv in Reichweite.

Platz 11 | ABT Cupra | 5 Punkte

Rennsiege:
0

Pole-Pos.:
1

Führungsrunden:
6

Podien:
0

Das vom spanischen Hersteller Cupra gesponserte ABT-Team hat bei seiner Formel-E-Rückkehr nach einem Jahr Pause bislang noch große Probleme. Der Hauptgrund ist vermeintlich der späte Zeitpunkt, zu dem das Team seine Hardware erhielt. Die Vorbereitungszeit war äußerst kurz, weshalb ABT die Saison von vornherein als "große Herausforderung" bezeichnete.

Zusätzlich spielt eine Rolle, dass der von ZF entwickelte Mahindra-Antrieb als einer der schwächsten und ineffizientesten im gesamten Feld gilt. Auch die Verletzung von Robin Frijns im Auftaktrennen, der mit einer gebrochenen Hand für die folgenden drei Rennwochenende ausfiel, hat sicherlich nicht geholfen. Die Tatsache, dass Nico Müller und Ersatzfahrer Kelvin van der Linde aufgrund der Mahindra-Probleme mit der Radaufhängung bei seinem Heimrennen in Kapstadt überhaupt nicht fahren konnte, verstärkte das Problem weiter. Das Team braucht jeden einzelnen Kilometer, um Erfahrung zu sammeln.

Was diese Erfahrung bewirken kann, konnte man im Regen-Qualifying beim Sonntagsrennen in Berlin beobachten: ABT Cupra profitierte unter anderem davon, einen Mahindra-Test in Großbritannien bei nassen Bedingungen absolviert zu haben und sicherte sich sensationell die erste Startreihe. Robin Frijns erzielte mit dem ersten Startplatz drei von fünf Punkten, die das Team in der ersten Saisonhälfte holte.

Apropos Punkte: Im weiteren Verlauf des Jahres vergibt die Formel E noch bis zu 240 Punkte. Der WM-Kampf ist rein rechnerisch also noch vollkommen offen. Wir begleiten den Rest der Saison für dich wie gewohnt mit Livestreams und unserem Hankook Formel E Liveticker - darunter auch das nächste Rennen in Monaco am 6. Mai.

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