Formel E

Techeetah: Die Geschichte von David gegen Goliath

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Wenn am kommenden Wochenende die Formel-E-Saison 2017/18 zu einem Ende kommt, könnten Fans an der Strecke in New York Zeugen einer regelrechten Sensation werden: Während neun von zehn Rennställen in den vergangenen acht Monaten mit einem eigenen Hersteller im Rücken an den Start gingen, könnte sich ausgerechnet das einzige Kundenteam im Formel-E-Feld den hart umkämpften Titel in der Teamwertung sichern. Wie hat sich das Techeetah-Team in diese Position gebracht? Eine Analyse.

Es erinnert an die Geschichte vom kleinen, schmächtigen David, der mit einer Steinschleuder gegen den 3-Meter-Riesen Goliath antreten muss. Unter normalen Umständen wäre das TECHEETAH Formula E Team, einmal abgesehen vom Renault-Antrieb im Heck, ein klarer Underdog: Keine eigenen Testtage, ein kleines Budget und deutlich weniger Rennerfahrung als die Konkurrenz sind nur drei Gründe für die vermeintliche Außenseiterrolle. Und trotzdem fahren beide Fahrer um Rennsiege, Podestplätze und sogar Meisterschaften.

Erst zwei Jahre ist der Rennstall um Teamboss Mark Preston in der Formel E dabei. Mehrmals schrammte das chinesische Team, das nach der Saison 2015/16 das Erbe vom erfolglosen Team Aguri antrat, im ersten Jahr knapp an einem Sieg vorbei. Bis zum finalen Rennen in Montreal dauerte es, bis sich Jean-Eric "JEV" Vergne endlich ganz oben auf das Treppchen stellen durfte. Seitdem ging es steil bergauf.

Eine Woche vor dem Finalwochenende der 2017/18er-Saison steht Techeetah nach drei Rennsiegen und sieben Podestplatzierungen auf Platz 1 in der Teamwertung - 33 Punkte vor dem so hoch gehandelten Audi-Team, ganze 120 Punkte vor dem Renault-Werkseinsatz. Wo liegt das Geheimnis für den Erfolg?

Es sind die Köche, nicht das Rezept

Für Preston liegt die Antwort auf der Hand: "Es gibt keine Zauberei im Rennsport", erklärt er, "unser Erfolg liegt an unseren Fahrern. JEV hat einfach eine überragende Saison hingelegt. Er war immer schnell, immer konstant und hat reife Entscheidungen getroffen. Nur in Zürich hatte er Probleme, davon abgesehen war sein schlechtestes Saisonergebnis Platz 5, glaube ich. Diese Art von Konstanz ist genau das, was man in dieser Meisterschaft braucht, um den Titel zu gewinnen."

Aber auch Andre Lotterer, der wohlgemerkt noch immer in seiner Rookie-Saison steckt, hat maßgeblich zur aktuellen Lage bei Techeetah beigetragen. "Ich denke, Andre war anfangs überrascht davon, wie schwer diese Autos zu fahren sind", analysiert Preston. Tatsächlich rollte Lotterer dem Feld bei seinem ersten Rennen in Hongkong auf einem aussichtslosen und frustrierenden 20. Platz hinterher. "Aber er hat sich schnell zurechtgefunden und schon in Santiago zeigen können, was für ein Talent in ihm steckt."

Rookie-Test von Marrakesch entscheidend

Der Santiago-Lauf im Februar war ohne Frage das erste große Jahreshighlight für das Techeetah-Team. Nicht nur kamen beide Fahrer damals in das Super-Pole-Shoot-out der besten fünf Qualifying-Fahrer, sie feierten am Ende des Rennsamstages nach einem beinharten Duell auch noch den ersten Doppelsieg der Formel-E-Geschichte.

Mitentscheidend für den Erfolg in Chile waren sicherlich auch die Erkenntnisse aus dem Rookie-Test nach dem Marrakesch E-Prix. Schließlich entschied sich Motorenpartner Renault vor der Saison, die insgesamt 22 Testtage, die den Franzosen als Hersteller zustanden, komplett mit dem e.dams-Werkseinsatz auszutragen und das fertige Produkt anschließend an Techeetah auszuliefern. Die Chinesen lernten den neuen Antrieb somit erst bei den drei kollektiven Vorsaison-Testtagen in Valencia kennen - ein klares Defizit gegenüber der Konkurrenz.

Umso wichtiger waren also die "Learnings" aus Marokko, wo Techeetah auf die große Erfahrung von Fred Makowiecki und James Rossiter setzte. Das Duo, das kombiniert auf ein Alter von 71 Jahren kommt, drehte etwas über 400 Testkilometer und sammelte dabei wichtige Daten, die sich spürbar auf die Leistungen des Teams in den darauffolgenden Rennen auswirkten.

"Wir haben beim Test herausgefunden, dass wir eine Aufhängung genutzt haben, die in einigen Kurven gar nicht funktioniert", erinnert sich Vergne bei 'Autosport'. "Ich habe aufgrund dessen jede Runde sehr viel Zeit verloren. Aber wir haben mit unseren Rookie-Fahrern daran gearbeitet und das Problem verstanden. Das hat uns geholfen."

Doppeltitel am "Big Apple"?

Eine mindestens so große Rolle wie der Rookie-Test spielt nach wie vor auch die teaminterne Chemie. Vergne ist einer der Eigentümer des Rennstalls, hält neben dem Lenkrad also auch einige Management-Fäden des Teams in der Hand. Diese Sicherheit beflügelt den Franzosen, der in der Fahrerwertung zwei Rennen vor Ende der Saison mit 23 Punkten vor Sam Bird (Virgin) liegt.

Die Techeetah-Mechaniker sind inzwischen eine eingeschworene Mannschaft, die Simulator-Ingenieure leisten exzellente Arbeit, die Abläufe werden zur Routine, und die beiden Weltklasse-Fahrer, die im Internet inzwischen unter dem Pärchen-Namen "Jeandre" die Herzen der Fans erobern, kommen auch abseits der Strecke hervorragend miteinander aus.

Der Reise des Techeetah-Teams gebührt jede Menge Respekt. Vom Marokko-Debakel 2016, als das Team Jean-Eric Vergne nicht rechtzeitig zur Qualifying-Runde aus der Garage entließ, bis hin zur Chance auf die Fahrer- und Team-Meisterschaft 2018 war es ein langer Weg. Ob es mit dem Doppeltitel klappt, erfahren wir in nur einer Woche in New York. Wir begleiten das Rennwochenende für dich live von der Rennstrecke und versorgen dich wie gewohnt mit allen News und Hintergründen aus der Welt der Formel E.

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