Formel E

Technik-Einblick: Wie die Zeitmessung & der Attack-Mode in der Formel E funktioniert

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Nur wenige Sportarten müssen sich auf eine haargenaue Zeitmessung so verlassen können wie der Motorsport. Sekundenbruchteile können, beispielsweise im Zeitfahren um die Startplätze im Qualifying, auf nur einer Runde den Unterschied zwischen Podiumskandidaten und Hinterbänklern machen. Es überrascht somit wenig, dass die exakte Messung von Rundenzeiten auch in der Formel E eine komplexe Angelegenheit ist.

Die Elektroserie hat die Zeitmessung ihres Zeichens ausgelagert und in die Hände des spanischen Unternehmens Al Kamel Systems gelegt. Seit dem ersten E-Prix im September 2014 unterstützt Al Kamel die Formel E mit bis zu 30 eigenen Mitarbeitern an den Rennwochenenden. "Eine Woche vor dem Event beginnen wir mit dem Auspacken des Equipments. Dann teilen wir uns in vier oder fünf Gruppen auf, die die Glasfaserkabel um die Strecke verlegen, die Überwachungskameras aufstellen, die Transponder installieren und die Rennleitung sowie die TV-Sendezentrale aufbauen", erklärt Al Kamels TV-Grafikdirektor Nacho Puig exklusiv gegenüber 'e-Formel.de'.

Vierfache Absicherung

"Wir nutzen das MyLaps X2 PRO Timing-System", so Puig. Jedes Auto in der Formel E ist mit zwei Transpondern ausgestattet - ein Haupttransponder und ein Backup. "Insgesamt werden elf sogenannte Timing Loops an verschiedenen Punkten der Strecke installiert. Diese Loops empfangen und senden Informationen, die dann von unserer eigens für die Formel E entwickelten Software verarbeitet werden." Überquert ein Auto einen der elf Messpunkte, aktualisiert sich automatisch die Grafik-Einblendung der Abstände im Fernsehsignal. Die Teams bekommen auf ihren Zeitenmonitoren allerdings nur drei dieser elf Messpunkte angezeigt - die allseits bekannten Sektoren-Messpunkte.

Des Weiteren gebe es zwei optische Backup-Systeme, bei denen sowohl eine Kamera als auch ein lichtempfindlicher Fotowiderstand an der Ziellinie angebracht werden. Wie im Radrennsport kann Al Kamel somit auch bei Zeitgleichheit zweier Fahrzeuge im Zehntausendstelsekunden-Bereich eines "Foto-Finishs" nachvollziehen, welcher Fahrer die Ziellinie zuerst überquerte. Bislang musste die Formel E aber noch nicht auf diesen "doppelten Boden" zurückgreifen. "Alle Uhren sind außerdem synchronisiert und alle Geräte untereinander gekoppelt. Es gibt kein System, das unabhängig vom Rest operiert", sagt Puig. Messfehler sollen damit vollständig ausgeschlossen werden.

Attack-Mode als neue Hürde

Auch in die technische Umsetzung des neuen Attack-Mode der Formel E ist Al Kamel involviert. "Die Fahrer müssen fünf Sekunden vor dem Durchqueren der Attack-Zone einen Knopf an ihrem Lenkrad drücken, der den Attack-Mode scharf schaltet", erklärt man uns. "In der Zone gibt es drei Punkte im Boden, an denen das Auto erfasst wird. Die 25 Kilowatt werden dann automatisch freigeschaltet, ohne dass wir von außen einwirken."

In den TV-Bildern wird die Attack-Zone in dieser Saison durch "Augmented Reality" mit computergenerierten Einblendungen auf der echten Rennstrecke visualisiert. Die Formel E vertraut hierbei auf die Expertise der italienischen Firma netventure r&d, die beispielsweise auch hinter den "Ghost Plane"-Visualisierungen bei den Red-Bull-Air-Race-Veranstaltungen steckt. Auch mit Sportcast, dem Produzenten der TV-Übertragungen der Fußball-Bundesliga, arbeitet netventure r&d zusammen.

"Wir nutzen zwei Weitwinkel-Kameras und andere Sensoren, die uns einen stereoskopischen Blick auf die Umgebung geben", fügt netventure-r&d-Präsident Antonio Bleile hinzu. "Die Daten zu Zoom, Fokus, Position und Orientierung der Kameras werden dann in Echtzeit für jedes einzelne Bild in eine vizrt-Render-Engine gespeist, die eine finale Animation für die TV-Ausstrahlung erstellt."

5,5 Gigabyte pro Rennwochenende

Kurzum: Hinter den neuen Features der Formel-E-Saison 2018/19 steckt eine Menge mehr Arbeit, als von außen auf den ersten Blick erkennbar ist. Neben den Timing-Daten für die Rundenzeiten ist Al Kamel auch für das Sammeln von Wetterdaten und die Auswertung der einzelnen Sektorenzeiten zuständig. "In Summe beenden wir ein Rennwochenende mit einer Datenmenge von rund 5,5 Gigabyte", erklärt Puig abschließend. Hinzu kommen mehrere Terabyte an Telemetrie-Daten, die durch dieselben Kabel fließen. Diese Telemetrie - beispielsweise Werte zur verbleibenden Energie oder zu den aktuellen Geschwindigkeiten - wird jedoch nicht von Al Kamel überwacht, sondern von Magneti Marelli.

Einen Einblick in die detailreichen Aufschlüsselungen der Al-Kamel-Daten bietet nach jedem Rennwochenende das "Booklet", das die Firma allen Interessierten öffentlich zur Verfügung stellt. Al Kamels Datensatz zum Mexico City E-Prix Mitte Februar findest du hier verlinkt.

Foto: Shivraj Gohil / Spacesuit Media

Zurück

0 Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte rechnen Sie 1 plus 7.
Advertisement