Formel E

Trauriger Formel-E-Rekord für Nio 333 trotz Transfer-Coup mit Daniel Abt

Tobias Wirtz

Tobias Wirtz

Dass es keine einfache Saison für das Nio 333 FE Team werden würde, war allen unmittelbar Beteiligten schon vor Beginn der sechsten Formel-E-Saison klar. Das Fazit nach den elf Rennen 2019/20 ist jedoch ernüchternd: Es war noch viel schlimmer als zunächst gedacht. Die Chinesen stellten einen bislang einmaligen Negativrekord in der Elektrorennserie auf.

Nio - für Fans von Elektrosportwagen ist das chinesische Start-up ein klangvoller Name. Für Aufsehen sorgte die Marke, als am 12. Mai 2017 der Nio EP9 auf der Nordschleife des Nürburgrings einen neuen Rundenrekord für elektrisch angetriebene Fahrzeuge erzielte. Im Herbst 2019 wurden die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens jedoch immer größer. Die Nio-Aktie fiel zwischenzeitlich auf einen Preis von rund einem Euro.

Das Elektroauto-Start-up verkaufte sein Formel-E-Team in der Folge an den chinesischen Rennstall Lisheng Racing und trat fortan nur noch als Titelsponsor an. Die neuen Eigner setzten Teamchef Gerry Hughes und Technikchef Paul Fickers vor die Tür. Nach einer sehr schwachen Saison 2018/19, die das Team mutmaßlich aufgrund eines fundamentalen Technikproblems beim Antriebsstrang mit nur sieben Punkten auf dem elften und letzten Platz abschloss, verwarfen die Verantwortlichen kurz darauf den Plan, mit einer Weiterentwickelung des eigenen Antriebs an den Start zu gehen.

Stattdessen erwarb Nio 333 Motoren und Inverter von Dragon und ließ sie gemeinsam mit dem eigenen Getriebe sowie weiteren Teilen als neuen Antriebsstrang für die Saison 2019/20 homologieren. Das Problem daran: Es handelte sich bei der Hardware von Dragon um Vorjahresteile. Mit diesen war es Dragon in Saison 5 gelungen, lediglich Nio hinter sich zu lassen. Siege und Podestplätze waren für die US-Amerikaner außer Reichweite.

Die Erwartungen der Chinesen waren daher von vornherein niedrig: Andere Hersteller investierten mehrere Millionen Euro in die Entwicklung ihrer Antriebsstränge, bei Nio wurden stattdessen Teile der beiden schwächsten Antriebe des Vorjahres zusammengewürfelt.

Verstärkt wurde dies durch die Tatsache, dass man mit Oliver Turvey zwar einen Fahrer hatte, der als sehr konkurrenzfähig eingeschätzt wird. Sein Teamkollege wurde jedoch Ma Qing Hua. Nicht wegen seines Talents, sondern wegen seiner Nationalität: Die Teambesitzer wollten unbedingt einen chinesischen Piloten am Steuer ihres Boliden, ungeachtet der Ergebnisse, die dieser zu erzielen imstande war.

Nur einmal nah dran

Die Saisonhöhepunkte sind daher schnell zusammengefasst: Turvey zog in Santiago aufgrund der sich massiv verbessernden Streckenbedingungen in die Super-Pole ein und beendete das Rennen auf einem sensationellen elften Platz. In der Hitzeschlacht schieden allerdings auch sechs Piloten aus, Andre Lotterer im Porsche wurde disqualifiziert, und drei Fahrer, die vor Turvey ins Ziel gekommen waren, erhielten nachträglich Zeitstrafen, die sie hinter den Briten zurückwarfen. So nah dran an die Top 10 sollte Nio nicht mehr kommen. Das Team blieb in der gesamten Saison ohne einen einzigen Punkt - das hat es in der Formel E zuvor noch nie gegeben.

Daran änderte auch die Verpflichtung von Daniel Abt als Ersatz für Ma Qing Hua nichts, der offiziell aufgrund von Reisebeschränkungen nicht aus China nach Berlin reiste. Abt war kurz zuvor von Audi vor die Tür gesetzt worden und daher einer der am stärksten einzuschätzenden Formel-E-Piloten auf dem Markt. Es war zwar ein spürbarer Aufwärtstrend zu erkennen. Abt fuhr auf Augenhöhe mit Turvey. Das Qualifying-Duell entschied der Brite klar mit 5:1 für sich. Im Rennen war es anders herum: Abt landete bei vier von sechs Läufen vor seinem Teamkollegen. Platz 15 für den Deutschen beim dritten Berlin-Rennen blieb das beste Resultat für das Team in der deutschen Hauptstadt.

"Die letzten zwei Rennen waren ziemlich hart", erklärt Abt. "Wir haben leider keine Punkte erzielt, aber ich habe mein Bestes gegeben und bis zur letzten Runde gekämpft. Ich möchte dem Team danken, dass es mir diese Chance gegeben hat, bei meinem Heimrennen starten zu dürfen. Die Zusammenarbeit hat Spaß gemacht. Nun ist es Zeit, die Akkus wieder aufzuladen und dann mit dem Training für nächste Saison zu beginnen." Ob Abt auch in der kommenden siebten Saison ein Formel-E-Cockpit ergattern kann, ist noch nicht abzusehen.

Wohin des Weges?

Wie geht es weiter mit dem Nio 333 FE Team? Bislang ist nur sehr wenig bekannt. Der Vertrag von Daniel Abt galt nur für die sechs Rennen in Berlin. Bleibt Oliver Turvey auch in der siebten Saison in Folge beim Team, das vormals unter den Namen China Racing und NextEV antrat? Wird man sich diesmal an die Entwicklung eines eigenen Antriebs wagen oder gar als reines Kundenteam auftreten, wie es Virgin und Venturi in dieser Saison gemacht haben und damit deutlich erfolgreicher waren?

"Es war eine harte und schwierige Saison, wir konnten unser Ziel nicht erreichen, haben aber aus jedem Rennen viel gelernt", verkündete das Team nach Saisonende auf Twitter. "Vielen Dank für die Unterstützung aller Fans und den Einsatz der Fahrer und aller Teammitglieder. Wir werden niemals aufgeben und freuen uns auf eine bessere kommende Saison."

Es ist also davon auszugehen, dass Nio auch am 16. Januar 2021 in der Startaufstellung stehen wird, wenn die neue Saison in Santiago beginnt.

Foto: Shivraj Gohil / Spacesuit Media

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