Formel E

Upgrade-Flut geplant: Formel-E-Bosse Reigle & Longo geben Einblicke in Gen3EVO- & Gen4-Entwicklung

Timo Pape

Timo Pape

Formula-E-Gen3-Car-blurred

"Progress is unstoppable" - so lautet der Slogan, mit dem die Formel E kürzlich einen Rennwagen aus einem Flugzeug warf. Beobachter:innen der Serie wissen, dass das durchaus stimmt. Ein Entwicklungszyklus dauert in der Elektroserie vier Jahre. Kaum ist die Gen3-Ära losgegangen, laufen hinter den Kulissen schon die Planungen für das Gen4-Auto, das 2027 debütieren wird. In Berlin konnte 'e-Formel.de' mit den Entscheidern der Formel E sprechen und dabei einige neue Erkenntnisse gewinnen.

Nicht nur das Gen4-Konzept steht derzeit zur Diskussion. Auch befasst sich die Formel E gemeinsam mit FIA, Herstellern und Teams mit kurz- und mittelfristigeren Themen. Etwa mit der Einführung der längst angekündigten Schnelllade-Boxenstopps, die erst in der nächsten Saison kommen werden. Am 27. April sollte dies im Rahmen eines Meetings besprochen werden - ebenso wie die Eckdaten zum Gen3EVO.

Dabei handelt es sich um eine Art Facelift zur Halbzeit des Gen3-Zyklus. Schon beim Gen1-Fahrzeug hatte es nach den ersten zwei Jahren eine neue Frontpartie gegeben. Beim Gen2EVO waren sogar größere Anpassungen geplant, doch letztlich fiel das Upgrade der Corona-Pandemie zum Opfer. Gen3EVO ist hingegen ein realistisches Ziel und wird voraussichtlich zum Start der Saison 2024/25 kommen.

Strategischer LED-Einsatz schon in Monaco im Einsatz?

So laufen derzeit mehr oder weniger drei Entwicklungsstränge parallel: kurzfristige Anpassungen, zu denen bereits die eingeführten Features Notfallbremse und Rückspiegel zählen. Ebenso ist hierbei die Schnellladetechnologie sowie der strategische Einsatz der LEDs am Gen3-Auto zu nennen.

"Alle Teams und Hersteller testen das gerade", bestätigt uns Formel-E-Mitbegründer Alberto Longo in einer Medienrunde. "Das System hatte ein paar Interferenzen mit der Fahrzeugbatterie (die vermeintlich zu Pascal Wehrleins schwerem Unfall in Hyderabad führten). Daher haben wir aktuell noch alle LEDs dauerhaft an. Wir sind aber dran, um es so schnell wie möglich einzuführen. Wahrscheinlich wird Monaco das erste Rennen sein."

Handverletzungen durch Lenkung bleiben ein Thema

Ein weiteres aktuelles Thema ist die äußerst schwergängige Lenkung des Gen3-Autos. In den ersten sechs Saisonläufen haben sich bei Auffahrunfällen bereits mehrere Fahrer verletzt - zum Teil leichter, zum Teil schwerer. Robin Frijns und Sebastien Buemi brachen sich beide gar die Hand. So gibt es Forderungen im Fahrerlager, die Lenkung des Fahrzeugs anzupassen, um das Verletzungsrisiko für die Piloten zu minimieren.

Longo sieht jedoch kein unmittelbares Sicherheitsrisiko und erklärt, warum eine kurzfristige Anpassung nicht klappt: "Wir müssen da wirklich sehr ins Detail gehen, warum das (die Unfälle) passiert. Sobald wir die Ursache kennen, können wir auch Lösungen finden." Eine mechanische Anpassung der Lenkung passiere aber "sicher nicht vor Saison 11, also zur Evolutionsstufe des Autos", so Longo. Bedeutet: Diese und nächste Saison müssen die Fahrer noch mit der aktuellen Lenkung Vorlieb nehmen und sollten Auffahrunfälle unbedingt vermeiden.

Formel E mag "Windschattenschlachten"

Viel wird derzeit außerdem über den starken Windschatteneffekt des Gen3-Autos diskutiert. Ist das Rennfahren "an der Perlenkette" mit 362 Überholmanövern allein in Berlin guter Motorsport, oder nicht? Bei diese Frage scheiden sich im Paddock die Geister. "Wenn du mich persönlich fragst: Ich liebe dieses Racing, wirklich!", meint Longo, weiß aber auch: "Es gibt durchaus verschiedene Meinungen dazu."

Im Gegensatz zu den meisten Fahrern hat die Formel E als Promoter einen klaren Standpunkt und freut sich über das Spektakel auf der Strecke - vor allem mit Blick auf die vielen zufriedenen Zuschauer:innen, die nicht aus dem "klassischen" Motorsport kommen.

Ob die Gen3EVO-Karosserie aerodynamischer werden soll, um den Windschatteneffekt zu verringern? "Wahrscheinlich nicht", lacht Longo. "Es sorgt ja für gutes Racing, und wir müssen immer die Fans im Auge behalten. Vielleicht sollten wir es sogar noch verstärken - warum eigentlich nicht?"

Erst neue Reifenmischung, dann Slicks?

Ein anderes großes Gesprächsthema in dieser Saison sind die harten Hankook-Reifen. Sie sind zwar sehr haltbar, limitieren durch ihren geringen Grip jedoch die Performance des leistungsstarken Gen3-Autos. "Sie arbeiten bereits daran, wie der nächste Reifen aussehen wird", bestätigt Longo, dass es in absehbarer Zeit eine neue Gummimischung geben wird. "Wenn wir hier und da noch ein paar Änderungen vornehmen, bin ich sicher, dass wir drei bis fünf Sekunden schneller fahren können."

Formel-E-CEO Jamie Reigle gibt jedoch zu bedenken: "Das Briefing für Hankook wird sicherlich nicht sein: Wir brauchen ein Auto, das einfacher zu fahren ist. Die Frage ist vielmehr, wie viel mehr Grip wir dem neuen Reifen geben wollen. Das ist das Spannungsfeld." Longo meint: "Es gibt viele Stimmen für Slicks, aber auch viele dagegen" und spielt den Ball an Reigle zurück: "Die Fahrer wollen natürlich alle mehr Grip. Aber wenn man den Promoter fragt…", schmunzelt der Kanadier.

Für die Formel E steht demnach auch beim Thema Reifen die Unterhaltung der Fans im Vordergrund. Aber auch ein anderer wichtiger Kernwert der Serie: "Solang wir maximal zwei Reifensätze pro Wochenende beibehalten, sehe ich kein Problem, in Zukunft mit Slicks zu fahren. Wir müssen unseren ja Nachhaltigkeitswerten treu bleiben und werden niemals auf mehr als zwei Sets gehen. Wenn wir einen Satz Slicks und dann vielleicht noch einen Satz 'Monsunreifen' oder ähnliches hätten, warum denn nicht?", fragt Longo.

Slick-Reifen würden allerdings "sicher nicht" mehr in der Gen3-Ära kommen. "Das bedeutet aber auch nicht, dass wir nicht schon für das Gen3EVO einen anderen Reifentypen einführen. Kein Slick, aber einen anderen Reifen", betont Longo. Auch Reigle meint: "Wir sollten das schon tun. Die Frage ist nur, was wir alles ändern. Das Allerwichtigste ist, dass die Teams vor Gen3EVO und Gen4 mehr Zeit zum Testen bekommen (als vor der Einführung des Gen3-Autos)", nimmt er die Kritik der vergangenen Monate seitens der Hersteller ernst.

Allradantrieb dürfte spätestens in Gen4-Ära kommen

Reigle stuft einen anderen Entwicklungsbereich jedoch als noch wichtiger ein: "Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Frontantrieb. Aktuell ist er nur zur Rekuperation da. Wir sehen uns die Option an, den Frontmotor auch als Antrieb zu nutzen." Bedeutet im Klartext: Allradantrieb. Nicht dauerhaft, sondern eher partiell. "Beispielsweise am Start und im Attack-Mode", erklärt Reigle. "Der Fahrer hätte nicht nur 50 kW mehr Energie, sondern auch noch mehr Grip und Traktion in den Kurven. Das dürfte zu noch mehr Überholmanövern führen."

"Wir als Veranstalter promoten aktiv den Einsatz eines Allradantriebs. Ich denke, das Auto wird sich dadurch massiv verbessern", stellt Longo klar. "Aber da hätte natürlich Implikationen für jeden einzelnen Hersteller. Die Kosten sind nur eine davon. Wir wollen ja auch keine Zuverlässigkeitsprobleme dadurch heraufbeschwören. Das ist eine heiße Diskussion. Die Entscheidung steht noch aus. Aber letztlich hängt es an der FIA, den Teams und Herstellern."

"Die Nutzung des Frontmotors hängt auch mit den Reifen zusammen", erklärt Reigle. "Ich glaube nicht, dass wir als Formelserie einen Allradantrieb und gleichzeitig Slicks sowie Traktionskontrolle haben werden. Denn dann könnten auch du und ich diesen Job machen. Das Auto wäre dann sehr einfach zu fahren." Für ihn stellt sich im Vergleich mit einem Verbrenner-Auto die strategische Frage: "Wo können wir wirklich führend sein? Natürlich bei der Beschleunigung." Und diese lässt sich nur mit einem Allradantrieb auf die Straßen bringen.

Gen4-Strategie: Leistungssteigerung & längere Rennen

Grundsätzlich wolle sich Formel-E-Boss Reigle beim Gen4-Fahrzeug sehr stark auf einen weiteren Performance-Sprung konzentrieren. "Es wird mehr Leistung geben, sicherlich auch einen Allradantrieb - wenn wir ihn nicht schon in Gen3 einführen. Wir müssen die Fahrer fordern, denn das wollen die Fans sehen. Und dann ist es wiederum gut für die Hersteller."

Auch sieht Reigle ein, dass das derzeitige Gen3-Fahrzeug zu viel Luftwiderstand hat. Das schadet nicht nur der Akku-Reichweite und damit der Rennlänge, sondern verstärkt gleichzeitig den Windschatteneffekt. "Das Auto sollte aus meiner Sicht mehr aerodynamische Effizienz haben", sagt Reigle.

"Aktuell können wir noch kein längeres Rennen veranstalten - wir werden noch (von der Technologie) zurückgehalten. In Gen4 möchte ich wirklich mehr. Ich denke, wir könnten durchaus auf eine Stunde oder vielleicht 55 Minuten erhöhen." Noch sei bezüglich Gen4 nichts entschieden, "aber schon recht bald". "Grob muss (Chassis-Hersteller) Spark im Sommer - also in zwei, drei Monaten - wissen, wie das Gen4-Auto aussehen soll. Wir müssen uns also sehr bald entscheiden."

22 Rennen pro Saison, Rahmenserie soll kommen

Nach dem missglückten Versuch der Jaguar I-Pace eTrophy wünscht sich die Formel E eines Tages auch wieder eine Rahmenserie. Aber Longo meint: "Wir haben keine Eile. Aktuell wollen wir den Fokus auf die Formel E legen. Wir werden es tun, aber noch nicht kurzfristig. Es wird nicht nächstes Jahr passieren - vielleicht das Jahr danach oder das übernächste. Wir schauen uns verschiedene Möglichkeiten an, müssen aber den richtigen Partner finden, der uns einen Mehrwert bringt."

Auch den Rennkalender der Formel E will Chief Championship Officer Longo weiter aufblasen: "Das Ziel ist, bis zum Ende von Saison 12 auf 18 Rennen hochzugehen. In Gen4 wird es noch mal mehr: Wir wollen den Kalender auf 22 Rennen erweitern." In ihrer aktuellen Saison 2023 trägt die Formel E 16 Läufe aus.

Auf unsere Frage, ob eine Rückkehr nach Paris geplant sei, antwortet der Spanier: "Wir brauchen eine etwas andere Strecke für das neue Gen3-Auto, auch wenn die Locations am 'Les Invalides' und nahe dem Eiffelturm fantastisch war. Wir schauen uns daher verschiedene potenzielle Locations in Paris an, aber auch die Möglichkeit, die existierende Strecke zu verlängern." Eine Paris-Rückkehr werde aber ebenfalls noch nicht kurzfristig passieren.

Wenn alle geplanten Entwicklungsideen so umgesetzt werden, dürfen Formel-E-Fans spannenden Jahren entgegenblicken. Sicher scheint schon jetzt: Die Elektroserie wird deutlich schneller, wodurch sich auch die Qualität des Racing weiter verbessern dürfte.

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