Formel E

Vergne rechnet ab: "Noch nie so etwas wie bei Virgin erlebt"

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Selten erlebte man Jean-Eric Vergne in den letzten Jahren so entspannt wie in der laufenden Formel-E-Saison. Weder bei Toro Rosso in der Formel 1 noch bei seinem ehemaligen Formel-E-Team DS Virgin Racing konnte der Franzose so befreit fahren wie bei seinem neuen Arbeitgeber Techeetah. Endlich hat er das Material, was ihm zu seinem ersten Sieg in der Elektroserie verhelfen könnte. Endlich kämpft er wieder um Meisterschaften.

Dabei hätte der Erfolg schon im letzten Jahr kommen sollen. Nach einer Saison (abzüglich den ersten zwei Saisonrennen) bei Andretti wechselte der Franzose vor der Saison 2015/16 zu Virgin. Was anfangs wie ein perfektes Paar schien, wurde schon früh im Jahr zu einem Albtraum: Der erste eigene Formel-E-Renner von Virgin war aufgrund eines Doppelmotors übergewichtig, schwer zu kontrollieren und im Vergleich zu e.dams oder ABT klar zu langsam.

Hinzu kamen interne Streitereien. Nachdem sich der mittlerweile 26-jährige Vergne beim Buenos Aires ePrix 2016 eine Lebensmittelvergiftung holte, wollte ihn Virgin anfänglich nicht zum Rennen antreten lassen. Vergne fühlte sich hingegen - wohl nach einer Nacht zum Vergessen - am Morgen des Rennens fit und bereit, ins Auto zu steigen. Auch die Rennärzte gaben grünes Licht. Erst nach intensiven Diskussionen konnte Vergne sein Team von seinem Antritt überzeugen.

"So etwas habe ich noch nie im Motorsport erlebt, das war echt unglaublich", denkt Vergne heute an jenes Rennen zurück. "Ich war wirklich schockiert. Nie hat mir jemand das Fahren verbieten wollen, weil ich ein bisschen krank war. Danach habe ich mir gesagt: Das ist meine letzte Saison mit diesen Leuten."

Auch die Boxenfunk-Kontroverse bei seinem Heimrennen in Paris dürfte für noch mehr Abneigung gegenüber seinem Ex-Team gesorgt haben. Damals kollidierte er im Positionskampf mit seinem Teamkollegen Sam Bird, schaffte es am Ende auf Platz zwei. Es sollte Vergnes bestes Ergebnis der Saison werden.

Enttäuschung in der Formel 1

Doch auch vor seinem Virgin-Engagement war es eine Seltenheit, Vergne glücklich an einer Rennstrecke zu sehen. Nachdem er in den Jahren zuvor durch die Juniorenserien marschierte und Meisterschaften am laufenden Band gewann, kam der Franzose 2012 ins rücksichtslose und harte Formel-1-Fahrerlager.

Dort war er, was bei Namen wie Vettel, Hamilton, Schumacher oder Alonso wenig überraschte, erstmals nur "Einer von Vielen". Das Formel-1-Team Red Bull, in dessen Nachwuchsprogramm Vergne schon mehrere Jahre lang in der Formel 3 und Formel Renault 3.5 unterstützt wurde, setzte ihn in einen Toro Rosso an die Seite von Daniel Ricciardo - im besten Falle ein Auto für die Top 8. An Rennsiege war nicht mehr zu denken.

"Rückblickend auf meine Karriere ist das wohl die Zeitspanne, in der ich am meisten ändern würde", gibt er zu. "Das Feld war zu kompetitiv, vielleicht etwas zu viel für mich. Während das Team zum Beispiel meinen achten Platz im Regenrennen von Malaysia 2012 wie einen Sieg gefeiert hat, war ich enttäuscht von mir, nicht gewonnen zu haben. Hätte ich noch einmal die Chance, würde ich meine Mentalität ändern und mit einem zehnten Platz bei Toro Rosso glücklich sein."

Nach der Saison 2013 wurde ausgerechnet sein Teamkollege Ricciardo, mit dem Vergne stets mithalten konnte, zu Red Bull an die Seite des frisch gebackenen viermaligen Weltmeisters Sebastian Vettel befördert. Nach 2014 verlor "JEV", wie er in der Branche genannt wird, trotz besserer Ergebnisse als Teamkollege Daniil Kvyat, endgültig sein Toro-Rosso-Cockpit an den 17-jährigen Max Verstappen. Nur zwei Wochen nach seinem Formel-1-Abschied - und damit dem Ende des Red-Bull-Förderprogramms - folgte sein erster Auftritt in der Formel E…

"Als ich in Uruguay ankam, wusste ich nur vom Autowechsel!"

"Wenn du bei Red Bull bist, dann bist du in einer Blase, aus der du nicht herauskommst. Du bekommst nichts außerhalb deiner Welt mit", erinnert sich der Franzose. "Ich habe mich also mit meinem Manager Julien Jakobi zusammengetan. Der hat mich an einem Montagabend angerufen und gesagt: Schau, ich habe eine neue Serie für dich gefunden. Probier es doch mal aus und guck, ob es dir gefällt."

Vergne weiter: "Ich hatte keine festen Pläne für die Zukunft und habe zugestimmt. Eine Stunde später hatte ich mein Flugticket und flog am nächsten Morgen nach Punta del Este! Ich hatte also keine Vorbereitung, keine Fahrt im Simulator. Ehrlich gesagt habe ich die Rennen vorher noch nicht einmal gesehen und war von den Designs der Autos überrascht. Alles, was ich bei meiner Ankunft in Uruguay von der Formel E gehört hatte, war, dass man das Auto wechseln muss." Im Qualifying von Punta del Este holte sich Vergne sensationell die Pole-Position.

Nach dem Punta del Este ePrix, in dem Vergne lange führte und spät durch einen Aufhängungsbruch ausfiel, entschied sich Andretti, ihm ein Angebot für den Rest der Saison zu unterbreiten. Vergne holte sich in Miami und Moskau die Pole-Position und stand in Long Beach und London auf dem Podium. Anschließend wechselte er zu Virgin. Was was dort passierte, wissen wir.

Neue Hoffnung mit Techeetah

Nach einer Saison mit dem britisch-französischen Team ist Vergne nun Fahrer und - wie vermutet wird - einer der Anteilseigner am neu gegründeten Team Techeetah. Die Chinesen lassen sich von Renault mit Motoren beliefern und fahren wie auch e.dams an der Spitze mit.

"Ich bin so viel glücklicher als im letzten Jahr", fasst Vergne zusammen. "Natürlich läuft noch nicht alles nach Plan, aber wir haben eine gute Zukunft vor uns. Ich bin langfristig mit dem Team eingespannt, jeder ist extrem motiviert, wir haben einen der besten Antriebsstränge, talentierte Mechaniker und Ingenieure auf unserer Seite. Jeder ist kompetent und hat Lust auf Siege - ich weiß einfach, dass wir erfolgreich sein werden."

Nach einem holprigen Saisonstart nimmt Techeetah langsam aber sicher Fahrt auf. Am Wochenende nach der Verpflichtung von Formel-1-Veteran Esteban Gutierrez konnte sich Vergne in Mexiko-Stadt schon sein zweites Podium in Folge sichern. Aktuell steht er in der Meisterschaft nur sechs Punkte hinter Nico Prost (e.dams) auf Gesamtrang vier. Den Angriff auf die Top 3 will er in knapp einem Monat in Monaco unternehmen: Dort findet am 13. Mai der fünfte Formel-E-Lauf der Saison statt.

Zurück

0 Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Was ist die Summe aus 6 und 6?