Defensiv-Lehrstunde & angezählte Favoriten: Das e-Formel.de Fahrer-Rating zum Hyderabad E-Prix 2023
Tobias Bluhm
Vor 25.000 Fans feierte Jean-Eric Vergne am vergangenen Wochenende seinen ersten Formel-E-Sieg der Saison. Der Franzose hielt dem hohen Druck seines Rivalen Nick Cassidy stand, ehe er den ersten Erfolg für das Penske-Team seit 2016 verbuchte. Während die Favoriten von Jaguar und über weite Strecken auch Porsche strauchelten, konnte ein "Underdog" besonders überzeugen. Unser Blick auf die Gewinner und Verlierer des Wochenendes.
Auch in diesem Jahr vergibt die Redaktion von e-Formel.de nach jedem Rennwochenende der Saison Punkte auf einer Skala zwischen 1 und 10 für alle Fahrer. Anschließend werden die Piloten nach ihrem durchschnittlichen "Rating-Score" sortiert, und die besten zehn Leistungen von unserem Formel-E-Reporter Tobias Bluhm kommentiert. In die Wertung fließen ausschließlich die individuellen fahrerischen Leistungen ein, nicht das Potenzial des Autos oder äußerliche Umstände.
Das e-Formel.de Fahrer-Rating zum Hyderabad E-Prix 2023
1. Jean-Eric Vergne | DS Penske | 9.5 Punkte
Mit "breiteren Flügeln als bei einer (Boeing) 777", so Jean-Eric Vergnes Ingenieur Thibault Arnal, verteidigte der Franzose in der Schlussphase des Hyderabad E-Prix den ersten Platz. Seine Kritiker:innen beeindruckte der Ex-Champion vor allem damit, wie er es trotz eines großen Energiedefizits gegenüber Nick Cassidy schaffte, bei wiederholten Angriffen die Nase vorn zu halten.
Zwar gelangte Vergne auch durch eine Menge Glück in die Führungsposition - Stichwort: gelöschte Qualifying-Zeiten von Rivalen. Doch die Art und Weise, wie er die Spitze verteidigte, glich einer Lehrstunde in hoher Verteidigungskunst.
FAZIT: Im Zweikampf mit Cassidy spielte der alte Fuchs Jean-Eric Vergne seine ganze Formel-E-Erfahrung aus. Ein glücklicher, aber vollkommen verdienter Sieg!
2. Nick Cassidy | Envision Racing | 8.3 Punkte
Kaum begannen die Jaguar-Werkspiloten zu straucheln, stellten sich Nick Cassidy und Jaguars Kundenteam Envision ins Rampenlicht. Der Neuseeländer beeindruckte mit einer sehr effizienten Fahrweise beim Hyderabad E-Prix und hatte in den letzten Runden teilweise bis zu vier Prozent mehr Energie im Akku als seine direkten Rivalen.
Dass Cassidy diesen Vorteil nicht erfolgreich gegen Vergne einsetzen konnte, hat womöglich auch mit einem Tippfehler der Rennleitung zu tun. Diese verwarnte Vergne zwischenzeitlich für das mehrfache Verlassen der Strecke, teilte jedoch zunächst über das zentrale Kommunikations- und Zeitensystem mit: "CAR 25 (JEV) - BLACK FLAG". Cassidys Ingenieur Robert Sattler informierte seinen Fahrer über die vermeintliche Disqualifikation von Vergne, woraufhin sich Cassidy bei einer aussichtsreichen Überholsituation in Kurve 3 zurückhielt. Wenig später korrigierte die FIA die Meldung zu "BLACK AND WHITE FLAG" - und Cassidys Überholchance war verflogen.
FAZIT: So oder so: Der Neuseeländer kann sehr zufrieden mit seiner Leistung in Hyderabad sein.
3. Mitch Evans | Jaguar TCS Racing | 8.3 Punkte
Erst fehlte das Glück, dann kam auch noch Pech hinzu. Schon als der Pole-Sitter nach einer Attack-Mode-Aktivierung mehrere Positionen verlor, war Mitch Evans am Funk aufgebracht und fragte, ob sein Team überhaupt gewinnen wolle. In mühevoller Überholarbeit hatte er sich in Runde 13 zurück auf Rang 3 gearbeitet. Dann tat ausgerechnet Evans' Teamkollege Sam Bird sein Übriges.
Bei einem denkwürdigen Unfall in Kurve 3 wurde das Auto des Neuseeländers so schwer beschädigt, dass er trotz seiner aussichtsreichen Startposition das Rennen an der Box aufgeben musste. Die Entschuldigung von Bird nahm er an, dem teaminternen Klima dürfte der Crash aber keineswegs zuträglich gewesen sein.
FAZIT: Chancenlos wurde Evans trotz hervorragender Leistung zum Opfer eines Unfalls mit seinem Teamkollegen. Das ist besonders bitter, denn durch Porsches Trainingsverzicht waren seine Siegchancen so groß wie bei noch keinem E-Prix dieses Jahres.
4. Antonio Felix da Costa | TAG Heuer Porsche | 8.0 Punkte
Nach dem schweren Unfall seines Teamkollegen Pascal Wehrlein und dem damit verbundenen Trainingsverzicht von Porsche verlor Antonio Felix da Costa wertvolle Übungszeit auf der Strecke. Der Erfahrungsrückstand machte sich im Qualifying bemerkbar: Der Portugiese schied schon in der Gruppenphase aus und startete nur von Platz 13. Dank Ausfällen und Strafen gegen seine Rivalen sowie einer gewohnt effizienten Fahrweise sah er die karierte Flagge dennoch auf Rang 4. Weil Sebastien Buemi durch ein technisches Vergehen das Podium verlor, wurde daraus nachträglich sogar der dritte Platz.
FAZIT: Das erste Top-3-Resultat mit seinem neuen Team - ist der Porsche-Knoten bei Felix da Costa jetzt geplatzt?
5. Sebastien Buemi | Envision Racing | 8.0 Punkte
Sebastien Buemis Renntempo war in Hyderabad keinen Deut schlechter als jenes von Nick Cassidy. Aufgrund einer schlechteren Ausgangssituation wurde der Schweizer allerdings zum "Rücken freihalten" delegiert - eine Aufgabe, die er sehr gut erfüllte. Buemi wurde Dritter, verlor diese Position aufgrund einer technischen Fehlfunktion seiner Batterie aber am "grünen Tisch". Das ist schade, schmälert aber nicht seine abermals herausragende Einzelleistung.
FAZIT: Der Aufwärtstrend bei Sebastien Buemi dauert an.
6. Sergio Sette Camara | Nio 333 | 7.5 Punkte
An den ersten zwei Rennwochenenden der Saison 2023 galt die Aufmerksamkeit bei Nio 333 vor allem Dan Ticktum. Nun stellte sich jedoch Neuzugang Sergio Sette Camara ins Rampenlicht, und das mit einer astreinen Fahrt auf Platz 5! Für das ehemalige Hinterbänkler-Team muss sich das wie ein Sieg anfühlen.
Nicht nur gelang es Sette Camara in Hyderabad (anders als Ticktum in Mexiko und Saudi-Arabien), bis zur Zielflagge sein Renntempo bei guter Effizienz aufrechtzuerhalten. Auch kämpfte er sich im Rennverlauf stolze zehn Positionen nach vorn. Dabei profitierte er von Unfällen und Strafen seiner Rivalen, das ist den Ergebnislisten aber egal.
FAZIT: Sette Camara ist bei seinem neuen Team angekommen. Er sammelte in Hyderabad mehr Punkte als Nio 333 in den letzten 28 Rennen kumuliert. Es geht bergauf!
7. Pascal Wehrlein | TAG Heuer Porsche | 7.5 Punkte
Der Schreck war groß, als Pascal Wehrlein kurz nach dem Start ins 1. Freie Training in die Mauer von Kurve 18 einschlug. Ersten Vermutungen zufolge war eine fehlerhafte Verknüpfung in der Autoelektronik die Ursache für seinen Crash - ein schwerwiegender Fehler, der in Zusammenhang mit neuen LED-Funktionen des Gen3-Autos von Porsche stehen könnte.
Zum Start ins 2. Freie Training waren zwar sowohl Wehrlein als auch sein Wagen wieder einsatzbereit. Durch den Verlust wichtiger Trainingszeit auf der neuen Strecke lautete Porsches Devise für das verbleibende Wochenende jedoch, den Erfahrungsrückstand aufzuholen. Im Rennen konnte der Deutsche die unverändert große Effizienz seines Antriebsstrangs ausnutzen, um zusammen mit seinem Teamkollegen gegen Ende durch das Feld zu pflügen. Aus Startplatz 12 wurde im Ziel somit Rang 4. Mehr war nicht drin.
FAZIT: Wehrlein befreite sich aus einer scheinbar aussichtslosen Situation und schöpfte im Rennen sein ganzes Potenzial aus. Die gesammelten Punkte könnten im WM-Kampf wichtig werden. Viel entscheidender ist jedoch, dass er nach seinem angsteinflößenden Unfall wohlauf ist.
8. Jake Dennis | Avalanche Andretti | 6.8 Punkte
Da infolge von Wehrleins Unfall sowohl Porsches Werks- als auch das Kundenteam auf Runden im Training verzichteten, verlor Jake Dennis wertvolle Informationen über sein Fahrzeug. Im Rennen lag er ausgehend von Startplatz 11 wohl sogar auf Podiumskurs, ehe ihm Rene Rast (McLaren) in Kurve 3 den Hinterreifen aufschlitzte.
FAZIT: Nach dem Unfall war für Dennis wenig zu holen. Er erkor das Indien-Rennen zu einer Testsession aus, an dessen Ende er außerhalb der Punkteränge ins Ziel fuhr.
9. Sacha Fenestraz | Nissan | 6.8 Punkte
Nach einem hervorragenden Qualifying, in dem Fenestraz abermals an den Duellen teilnehmen konnte, war der Franzose auf Kurs für ein gutes Rennergebnis. Doch dann wurde er unfreiwillig ein Beteiligter des Jaguar-Unfalls: Fenestraz wich Evans und Bird in den Notausgang aus, konnte aufgrund der blockierten Strecke aber nicht direkt auf den Kurs zurückkehren. Er verlor viele Plätze und den Anschluss an die Punkteränge.
FAZIT: Fenestraz war zur falschen Zeit am falschen Ort - er kann einem nur leidtun.
10. Maximilian Günther | Maserati MSG Racing | 6.8 Punkte
Maximilian Günther war in Indien fest darauf fokussiert, seinen Fahrfehler aus dem Diriyya-Qualifying wiedergutzumachen. Im Zeitfahren um die Startplätze schaffte er es mit etwas Glück auf Position 5 und war auch im Renntrimm gut unterwegs, ehe er ebenfalls in das Jaguar-Gemetzel involviert wurde. Zeitgleich zu Birds Verbremser hatte sich der Deutsche entschieden, den Attack-Mode zu aktivieren. Genau wie bei Fenestraz war somit auch sein Weg zurück auf die Strecke blockiert. Am Ende blieb ihm nur Position 13.
FAZIT: Mehr Pech kann man kaum haben. Kopf hoch!
Position | Fahrer | Note | Startplatz | Endergebnis |
11. | Andre Lotterer (Avalanche Andretti) | 6.3 | 20. | 9. |
12. | Stoffel Vandoorne (DS Penske) | 6.3 | 17. | 8. |
13. | Oliver Rowland (Mahindra) | 6.0 | 10. | 6. |
14. | Jake Hughes (McLaren) | 6.0 | 21. | DNF |
15. | Rene Rast (McLaren) | 5.5 | 8. | DNF |
16. | Edoardo Mortara (Maserati MSG) | 5.3 | 7. | 10. |
17. | Norman Nato (Nissan) | 5.0 | 14. | 7. |
18. | Nico Müller (ABT Cupra) | 4.8 | 18. | 11. |
19. | Lucas di Grassi (Mahindra) | 4.3 | 19. | 14. |
20. | Dan Ticktum (Nio 333) | 4.0 | 16. | DNF |
21. | Sam Bird (Jaguar TCS Racing) | 3.8 | 6. | DNF |
22. | Kelvin van der Linde (ABT Cupra) | 2.8 | 22. | DNF |
Fahrer | Tobias Bluhm | Svenja König | Timo Pape | Tobias Wirtz | Durchschnitt |
01. Jean-Eric Vergne | 10 | 9 | 9 | 10 | 9,50 |
02. Nick Cassidy | 9 | 9 | 7 | 8 | 8,25 |
03. Mitch Evans | 8 | 8 | 8 | 9 | 8,25 |
04. Sebastien Buemi | 8 | 8 | 7 | 9 | 8,00 |
05. Antonio Felix da Costa | 9 | 8 | 7 | 8 | 8,00 |
06.Sergio Sette Camara | 8 | 6 | 7 | 9 | 7,50 |
07. Pascal Wehrlein | 8 | 8 | 6 | 8 | 7,50 |
08. Jake Dennis | 6 | 6 | 6 | 9 | 6,75 |
09. Sacha Fenestraz | 7 | 5 | 7 | 8 | 6,75 |
10. Maximilian Günther | 7 | 5 | 7 | 8 | 6,75 |
11. Andre Lotterer | 7 | 5 | 5 | 8 | 6,25 |
12. Stoffel Vandoorne | 7 | 6 | 5 | 7 | 6,25 |
13. Jake Hughes | 7 | 7 | 5 | 5 | 6,00 |
14. Oliver Rowland | 5 | 6 | 6 | 7 | 6,00 |
15. Rene Rast | 5 | 6 | 6 | 5 | 5,50 |
16. Edoardo Mortara | 5 | 5 | 6 | 5 | 5,25 |
17. Norman Nato | 5 | 3 | 6 | 6 | 5,00 |
18. Nico Müller | 3 | 4 | 5 | 7 | 4,75 |
19. Lucas di Grassi | 4 | 4 | 3 | 6 | 4,25 |
20. Dan Ticktum | 4 | 2 | 4 | 6 | 4,00 |
21. Sam Bird | 3 | 4 | 4 | 4 | 3,75 |
22. Kelvin van der Linde | 3 | 2 | 3 | 3 | 2,75 |
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