Formel E

WM-Titel in London: Wie Sylvain Filippi vom Beinahe-Chef der Formel E zu Envisions "Königsmacher" wurde

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Interview-Sylvain-Filippi-Formula-E-Envision

Nach einer turbulenten Formel-E-Saison 2023 ist Sylvain Filippi am Ziel angekommen: Der französische Teamchef hat mit seinem Envision-Rennstall erstmals einen WM-Titel in der Elektroserie errungen. Als passionierter E-Mobilist und Motorsportvisionär wird Filippi im Fahrerlager von vielen Seiten geschätzt: Nicht zuletzt auch, weil er von Beginn an zum Paddock gehört und einst sogar fast selbst die Serie geleitet hätte.

Neun Jahre hat es gedauert, ehe Sylvain Filippi den "Gipfel" des elektrischen Motorsports erklimmen konnte. Als Teamchef von Envision Racing erlebte der Franzose in seiner Rennsportkarriere viele Höhen und Tiefen. Filippi saß an der Boxenmauer, als Sam Bird 2014 den ersten Formel-E-Sieg des Teams einfuhr. Als Technikchef unter Alex Tai bekam er mit, wie Jean-Eric Vergne und der Rennstall im Streit auseinandergingen. Und er verhandelte die Antriebspartnerschaften des Teams mit: erst als DS-Werksteam, dann als Kunde von Audi und schließlich von Jaguar.

Die wendungsreiche Formel-E-Biografie von Filippi nimmt ihre Anfänge allerdings sogar noch vor dem Auftakt in den schicksalhaften Peking E-Prix im Herbst 2014. "Als ich 2003 mit der Wirtschaftshochschule fertig wurde, hatte ich einen Master für Beratung in der Automobilindustrie", erinnert er sich an seine Zeit an der ESSCA-Schule in Frankreich. Anschließend arbeitete er für BMW und Daimler-Chrysler, ehe er nach Großbritannien auswanderte. "Dort kam ich, der eigentlich ein Petrolhead war, mit der Elektromobilität in Berührung", so Filippi, der sich vom E-Fieber gepackt sogar einen frühen 2008er Tesla Roadster kaufte.

Filippi scheiterte 2012 mit Elektro-Serie an Agag

Die Geschichte, die dann folgt, klingt ganz wie der Gründungsmythos der heutigen Formel E: Gemeinsam mit einem Freund beschloss Filippi, eine Elektrorennserie zu gründen. Im "EV Cup" sollte es um Umwelt, Technologie, Effizienz und Emissionsfreiheit gehen, mit Autos vom britischen Konstrukteur Westfield und einer Rahmenserie für Elektro-Straßenautos. Das war im Oktober 2009. Zwei Jahre später sorgten Verzögerungen bei der Fahrzeugproduktion dafür, dass sich die Spuren der Serie im Sand verliefen.

"Wir hatten kaum Probleme, Geld dafür zu bekommen. Es gab damals viel PR (für das Projekt), bis 2012 die FIA eine Ausschreibung mit dem 'Aufruf für Interessensbekunden' startete, um die Formel E zu leiten", nennt Filippi einen weiteren Grund für das EV-Cup-Aus. "Es machte keinen Sinn, zwei Kategorien für dieselbe Sache zu haben. Also hat sich meine Gruppe dort beworben. Letztendlich hat aber Alejandro (Agag) und sein Team gewonnen."

Dass Agag gut befreundet mit dem damaligen FIA-Präsidenten Jean Todt ist, dürfte dem Spanier im Promoter-Wettstreit gewiss geholfen haben. Doch Filippi trauert der "verlorenen" Ausschreibung nicht nach. Ganz im Gegenteil: "Als die Meisterschaft entstand, brauchten sie zehn Teams, die daran teilnehmen. Ich habe sofort zugesagt - und der Rest ist Geschichte. Ich fühle mich der Serie verbunden, weil ich mir sehr im Klaren darüber bin, dass mein Team nur aufblühen kann, wenn es auch der Meisterschaft gutgeht. Wir wollen, dass die Formel E von Jahr zu Jahr besser wird; Im Interesse des Sports, aber auch, weil es unserem Team hilft."

 
 
 
 
 
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Vom Technik- zum Teamchef

Bei Envision fand Filippi einen festen Platz in der Kategorie. In den ersten Jahren fuhr das Team dank der finanziellen Unterstützung des Milliardärs Sir Richard Branson als "Virgin Racing" in der Formel E mit und war sogar als Hersteller eingeschrieben. Inzwischen verantwortet Filippi im Rennstall alle technologischen und administrativen Angelegenheiten.

Die Doppelrolle als CTO und "Managing Director" macht ihn zum Entscheidungsträger Nummer 1 bei Envision. Und trotzdem ist der zweifache Familienvater bescheiden. "Ich bin hier nur der Verwalter", lacht er. "In meinem Job stelle ich sicher, dass wir die besten Fahrer, besten Autos, das beste Team, das beste Eqipument, das beste Budget und all das haben, was man als Grundlage für ein Siegerteam benötigt."

In der Saison 2023 knackte Filippis Team den Rekord für die meisten Zähler aller Rennställe in der Formel-E-Historie, gewann Rennen in Monaco, Berlin und London und brachte sich zum ersten Mal in die realistische Lage, den ersten Platz in der Gesamtwertung zu belegen - letztlich mit Erfolg. "Es ging immer auf und ab", denkt der Boss an das Jahr zurück. "Dass wir es jetzt, zehn Jahre nach unserer Gründung, geschafft haben, ist großartig. Vor allem, wie schon gesagt, für das Team. Ich habe es Stück für Stück aufgebaut und liebe sie (die Mitarbeiter) aus tiefstem Herzen. Ihre Widerstandsfähigkeit ist unvergleichlich. Ich freue mich so sehr für sie!"

Envison an Finalwochenende zu "gierig" - Titelgewinn dank Zusammenhalt

Das Finale in London glich, wie Phasen der Saison, einer "Achterbahnfahrt", so Filippi. Erst im letzten Rennen fiel die Entscheidung, nachdem Nick Cassidy und Sebastien Buemi am Vortag noch miteinander kollidiert waren. "So etwas tut besonders weh, wenn das Auto schnell ist. Wir wurden gierig und haben die falschen Strategieentscheidungen getroffen. Im Nachhinein ist man immer klüger. Meine Aufgabe in der Nacht (vor dem Finale) war es, alle wieder zusammenbringen", analysiert der Teamchef und "Verwalter" Filippi. "Und natürlich haben sie es hinbekommen. Weil sie einfach ein großartiges Team sind."

Nun, neun Jahre nach seinem ersten Formel-E-Rennen und 20 nach dem Master-Abschluss in Frankreich, ist Filippi auf dem Gipfel des Elektro-Motorsports angekommen. 2023 wurde er zum "Königsmacher" von Envision und machte den Rennstall zum ersten Mal zum Weltmeister in der Formel E. Und wenn er sich im nächsten Jahr wieder an die Boxenmauer setzt, wird er hoffen, ein paar weniger sportliche Höhen und Tiefen zu erleben.

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