Formel E

Maro Engel im Portrait: Der Mann mit dem Gang

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Der Weg durch eine Boxengasse in der Formel E ist lang. Immerhin 40 Autos stehen hier in den Garagen bereit - doppelt so viele wie in der Formel 1. Egal ob in Marokko, Uruguay oder Deutschland - bei der Formel E wird viel gelaufen. Gut und gerne 15 Kilometer legen die Verantwortlichen der Serie am Rennsamstag zu Fuß zurück, Fotografen deutlich mehr, die Fahrer vielleicht ein bisschen weniger.

Aber lange Fußwege sind noch lange kein Grund für schlechte Laune. Ganz im Gegenteil: Als mir Maro Engel entgegenkommt, ist der gebürtige Münchener gut gelaunt. Das zufriedene, zurückhaltende Schmunzeln, die ausgeglichene Ruhe, der leicht federnde Gang. Es gibt irgendetwas an Engel, das fasziniert.

In meinen Gesprächen mit ihm wirkt der 32-Jährige ruhig, abgeklärt, professionell, zufrieden. Jedes Mal aufs Neue beeindruckt mich Engel mit seiner Abgeklärtheit auf und abseits der Strecke, besonders weil Medientermine eher zu den nervigeren Teilen des Wochenendes zählen. Engel ist ein Vollprofi, der besonders im GT-Sport alles mitgenommen hat, was geht: Bathurst, Nürburgring, Macau, Brands Hatch.

Dabei war die Karriere des Venturi-Piloten nie die klassische Bilderbuch-Geschichte: "Das erste halbe Jahr in einer richtigen Formel-Serie war wahrscheinlich das schlimmste meiner Karriere. Es kam einfach nichts zusammen, obwohl wir zu den Favoriten der Meisterschaft gehört haben", blickt Engel zurück. Nach einigen Jahren im regionalen, nationalen und internationalen Kartsport war er 2001 in die deutsche Formel BMW Junior gewechselt und stieg anschließend in die deutsche Formel BMW auf.

"Ein guter Bekannter brachte schließlich einen neuen Ingenieur ins Team, der uns durch die zweite Saisonhälfte begleitete. Ab da ging es bergauf", erinnert er sich. "Es kamen endlich die ersten Punkte, der erste Sieg in Spielberg und ein paar Podien hinzu."

"Auf einmal war meine Karriere vorbei"

Durch die guten Ergebnisse wuchs das Interesse am schnellen Blondschopf rasant. Auch einige Formel-3-Teams klopften bei Engel an. Nach mehreren Gesprächen unterschrieb der damals 17-Jährige schließlich für die 2003er-Saison beim Opel-KMS-Team und stieg an der Seite von Timo Glock in die neu gegründete Formel-3-Euroserie ein - nach gerade einmal einem Jahr in der Formel BMW.

"Das war rückblickend ein riesiger Karrierefehler", denkt Engel zurück. "Einerseits wäre es besser gewesen, noch einmal ein ganzes Jahr in der Formel BMW um die Meisterschaft zu fahren, andererseits hatten wir nicht das Budget für eine vollständige Formel-3-Saison. Auch das Team war nicht gut aufgestellt, wir waren einfach zu weit hinten. Und so kam es dann, dass das Geld nach vier Rennwochenenden aufgebraucht und meine Karriere erst einmal… na ja… vorbei war."

Engel weiter: "Schon lange konnte man den Motorsport nicht mehr nur aus der eigenen Tasche finanzieren. Wie in jedem anderen Sport wird man nur gut, wenn man viel trainiert - bei uns Rennfahrern kostet das Training aber enorm viel. Wir hatten uns einfach auf andere verlassen, die meinten, dass das Geld von Sponsoren schon käme. Meine Eltern haben mich natürlich unterstützt, wo sie nur konnten, aber finanziell ging es uns damals sowieso nicht allzu gut. Das hat das Ganze natürlich schwer gemacht."

Schneider, Rosberg & Schumacher als Mentoren

Soll heißen: Ein Karrierestart in Monaco, dem Mittelmeer-Mekka des Motorsports und größten Magneten für die Reichen und Schönen dieser Welt, bedeutet noch lange nicht, dass Maro Engel in seiner Kindheit wie Krösus lebte. Als er drei Jahre alt war zog Vater Rainer, seines Zeichens Modedesigner aus Franken, mit seiner jungen Familie ins Fürstentum. Maro ging mit Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg in den Kindergarten und die Schule, drehte gemeinsam mit ihm die ersten Runden im Kart.

"Es ist für mich ein großes Privileg, dort aufgewachsen zu sein. Ich bin auf diese Weise früh mit dem Rennsport in Berührung gekommen. Bernd Schneider hat mir mit sechs Jahren die Hütchen auf der Kartstrecke aufgestellt und gezeigt, was eine Ideallinie ist, ich bin mit Michael Schumacher Rennen gefahren. Das war eine riesige Ehre für mich."

Den Grundstein für Engels Rennsport-Begeisterung legte Keke Rosberg, der Formel-1-Weltmeister von 1982. Nachdem der Finne seinem Sohn Nico zum sechsten Geburtstag ein erstes Kart schenkte, überzeugte er auch Rainer Engel von der Idee, seinem Sohn, der zwei Monate später Geburtstag feierte, ein Kart zu schenken, damit beide Kinder zusammen fahren könnten. Die Rosbergs und Engels waren schon damals gut miteinander befreundet, auch Michael Schumacher war ein guter Freund von Engels Eltern.

Dass alle Monegassen superreich sind, stempelt Engel indes klar als Klischee ab. "Damals war es sogar eher das Gegenteil", erinnert er sich und wird nachdenklich. "In der Firma meines Vaters sind während meiner Formel-BMW-Zeit leider ein paar Geschäfte gelaufen, die uns extrem geschadet haben. Das Unternehmen wurde verkauft, und die neuen Besitzer haben im Börsencrash von 2001 extrem viel Geld verloren. Sie konnten die Kunden nicht mehr mit der Ware beliefern."

"Dadurch gab es nicht nur einen finanziellen Einschnitt bei uns, sondern auch einen Image-Schaden für unsere Firma. Das soll keine Ausrede sein, aber unter dem Strich war es einfach nicht mehr möglich, finanziell irgendetwas dem Rennsport beizusteuern."

Sponsorensuche im Fürstentum

Anstelle des Motorsports nahm nun die Schule die Hauptrolle in Engels früher Karriere ein. Er schloss sein Abitur ab und begann ein Studium der internationalen BWL, verlor den Motorsport aber nie aus den Augen.

"Das war schon eine prägende Erfahrung für mich. Ich musste selber schauen, wie ich den Rennsport finanziert bekomme", erklärt er und zieht sich, während sich eine Wolke vor die Sonne schiebt, einen Pullover über. "Ich habe eigene Mappen erstellt und versucht, mit so vielen Leuten wie möglich zu reden, bei fremden Firmen geklingelt und gefragt, ob sie fünf Minuten Zeit hätten. Nach etwas über einem Jahr habe ich endlich einen Sponsor gefunden, der bereit war, in mich zu investieren."

Mit dem neuen Geld trat Engel 2005 in der Italienischen Formel 3000 an, 2006 und 2007 mit dem bekannten Carlin-Team in der britischen Formel 3. Nach einem fünften Gesamtplatz im ersten Jahr kam dann das rettende Junior-Vertragsangebot von Mercedes-AMG.

Engel wechselte 2008 in die DTM und kämpfte die ersten Jahre an der Seite von Ralf Schumacher, Mathias Lauda und David Coulthard für die Marke mit dem Stern. 2012 kamen Einsätze in der International GT Open und der australischen GT-Meisterschaft hinzu, 2013 die V8 Supercars.

VIDEO: Die Highlights vom Formel-E-Rennen in Zürich

Verliebt, verlobt, verheiratet...

Diese bewegenden Jahre in seiner Karriere hielten Engel ohne Zweifel am Boden. Trotz seines Erfolges gehört er zu den bodenständigsten und aufrichtigsten Charakteren im Formel-E-Fahrerlager. Während wir auf einer Kiste mit Ersatzteilen hinter der Venturi-Garage in Berlin sitzen, bedankt er sich auf Französisch bei der Teammitarbeiterin Stephanie "Steph" Baldet, die noch einmal ins Teamhotel gefahren ist, weil Maro seinen Helm vergessen hatte. Er grüßt Kollegen auf Englisch, spricht mit mir auf Deutsch. Später kommen außerdem Interviews auf Italienisch hinzu.

Ein Wochenende in der Formel E ist voll, multilingual, anstrengend, nervenaufreibend. Die Offenheit, die Engel trotzdem bei jedem Interview und bei jeder Autogrammstunde versprüht, ist schwer beeindruckend. Stärke zieht der 32-Jährige auch aus der Liebe. Seit mehr als zehn Jahren ist er mit seiner Steffi zusammen. Das Paar heiratete schließlich im vergangenen Sommer in Monaco.

"Steffi ist eine riesige Unterstützung, ich verdanke ihr so viel", schmunzelt Engel. In seiner V8-Supercars-Zeit musste das Paar eine Fernbeziehung zwischen Monaco und Australien durchstehen. Während Engel dort im Mercedes-Kundenprogramm Rennen fuhr, organisierte Steffi mit ihrer Schwiegermutter das gemeinsame Wintersport-Mode-Label an der Cote d'Azur.

Genaue Pläne für die Zukunft

Maro Engel erinnert sich noch genau an das erste gemeinsame Treffen: "Wir haben uns bei meinem ersten offiziellen DTM-Termin 2008 in Düsseldorf zum ersten Mal gesehen, sie hatte damals für die ITR gearbeitet. Sie hat eigentlich mein gesamtes berufliches Leben mit mir durchlebt, mich immer unterstützt und mir der Rücken freigehalten. Ich bin dankbar, so eine tolle Frau an der Seite zu haben, die mit mir durch dick und dünn gegangen ist." Das Paar erwartet im August das erste gemeinsame Kind, eine Tochter soll es werden.

Aber auch auf dem Karrierepfad geht es für Maro Engel weiter bergauf. 2016 wechselte er in die Formel E - seine erste Formel-Serie seit 2007. Zuletzt kämpfte er sich in Paris nach einem überragenden E-Prix auf Rang 4 vor. Es war das beste Resultat seiner bisherigen Elektro-Karriere. Hinzu kommen immer wieder Einsätze in der VLN, der Blancpain-GT-Serie oder der IMSA-Sportwagen-Meisterschaft. Eine Zukunft in der Formel E ist ihm inzwischen so gut wie gewiss: "Ich weiß schon ziemlich genau, was ich nächstes Jahr mache", erklärt er, "nur sagen kann ich noch nichts."

Maro Engel verabschiedet sich nach einem gut 20-minütigen Plausch mit Handschlag von mir. "Mach was Nettes draus", zwinkert er mir zu und zieht noch einmal den Reißverschluss seines Pullovers hoch. Inzwischen ist der Himmel grau, es wird windig. Dann geht er mit federnden, ruhigen Schritten zurück zur Venturi-Garage in der langen Boxengasse der Formel E.

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