Formel E

Michael Andretti im Formel-E-Interview: Nicht sicher, ob ich damals an E-Motorsport geglaubt hätte

Timo Pape

Timo Pape

Wie alle Rennsport-Teams hat auch Andretti Autosport eine mehrmonatige Zwangspause hinter sich. Nun nimmt das Motorsport-Jahr langsam wieder Fahrt auf. Vor Teameigentümer Michael Andretti liegen intensive Monate - unter anderem sechs Formel-E-Rennen binnen neun Tagen in Berlin. Im Interview spricht der US-Amerikaner über die bevorstehenden Aufgaben, seine Anfänge als Teameigner und über Uhren, die einst anders tickten…

Wie gut kommt Andretti Autosport in dieser schwierigen Zeit zurecht?

Wir sind in der glücklichen Lage, starke und verständnisvolle Mitarbeiter sowie loyale Sponsoren zu haben. Ich denke, diese weltweite Krise hat jede Industrie belastet. Wir müssen alle umdenken - das heißt, uns nicht nur auf das Resultat zu fokussieren, sondern zu überlegen, wie wir gute Partner sein, unsere Communitys unterstützen und gemeinsam durch diese Phase kommen können. Wenn uns das gelingt, werden wir gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Vermissen Sie es, an der Rennstrecke zu sein, oder kommt Ihnen diese Pause vielleicht sogar gelegen?

Man muss vorsichtig sein, was man sich wünscht. In Zeiten, in denen man am Anschlag arbeitet, sehnt man sich manchmal nach einer Pause. Aber wenn dann plötzlich eine ungeplante zwei- oder dreimonatige Unterbrechung kommt, will man nichts mehr als wieder Vollgas zu geben. Ich denke, bei uns allen ist die Vorfreude auf die Rückkehr an die Rennstrecke riesig.

Wie intensiv wird die zweite Jahreshälfte werden?

Sobald wir zurück auf die Strecke können, wird es ganz sicher intensiv werden. IndyCar und Indy Lights starten schon im Juli, die Supercars kurz danach, auch unser GT4-Team kehrt wieder in den Rennmodus zurück. Und in der Formel E geht es wie in den anderen Rennserien auch bald weiter. Darüber hinaus bereiten wir uns auf weitere Projekte in 2021 vor. Auch wenn es aktuell noch ruhig zu sein scheint, stehen wir vor einer arbeitsreichen Zeit.

Die ersten Rennen finden aufgrund von Corona ohne Zuschauer statt. Was halten Sie davon?

Das ist natürlich enttäuschend, aber die Sicherheit unserer Fans und der Teams hat im Moment höchste Priorität. Es wird ungewohnt sein, nicht alle bei uns an der Rennstrecke zu haben, aber wir wissen, dass sie im Geiste bei uns sein werden. Rennsport-Fans gehören zu den besten der Welt, und ich habe keinen Zweifel, dass sie uns treu bleiben werden.

Wann sind Sie zum letzten Mal selbst ein Rennauto gefahren?

Ich bin 2007 mein letztes Rennen gefahren, saß aber 2010 im Rahmen eines Showruns mit Prominenten noch einmal in einem IndyCar-Doppelsitzer. Es ist also eine ganze Weile her - aber ich bin ein glücklicher Rennfahrer in Rente und genieße nun meine Rolle als Eigentümer.

Wären Sie gern einmal ein vollelektrisches Rennfahrzeug wie den BMW iFE.20 gefahren?

Schwer zu sagen. Zu meiner aktiven Zeit tickten die Uhren im Motorsport noch ganz anders. Der Gedanke an ein vollelektrisches Rennfahrzeug war damals noch ganz weit weg. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob ich damals schon an das Konzept geglaubt hätte. Aber seitdem hat sich der Sport enorm weiterentwickelt. Wenn ich heute noch Rennen fahren würde - warum nicht? Ich denke, einen Testtag hätte ich mir ganz bestimmt gegönnt.

Warum stehen Sie heute hinter dem Konzept der Formel E?

Ich bin deshalb vom Konzept der Formel E überzeugt, weil die Technologie für die Hersteller zukunftsweisend zu sein scheint und daher große Auswirkungen auf den Verbrauchermarkt haben wird. Es ist wirklich sehr spannend, in das Projekt involviert zu sein und dabei zu helfen, die Zukunft der Mobilität zu gestalten. Wir sind von Anfang an ein Teil der Formel E, und heute zu sehen, wie weit sich die Technologie bereits entwickelt hat, ist wirklich beeindruckend.

Warum haben Sie sich 2014 entschieden, direkt zum Start der Formel E einzusteigen?

Als uns die Möglichkeit eröffnet wurde, zu Saison 1 in die Formel E einzusteigen, haben wir gehofft, dass sie genau die Entwicklung nehmen würde, die wir nun sehen können. Der Wettbewerb ist hochklassig, das Engagement von Herstellern wie BMW ist groß, und die Fanbase wächst Jahr für Jahr. Ich denke, für ein Rennteam ist es wichtig, sich breit aufzustellen und sich stetig weiterzuentwickeln. Die Formel E bietet seit nunmehr sechs Jahren dazu die perfekte Gelegenheit.

Andretti Autosport deckt eine große Bandbreite an Motorsport-Engagements ab. Welche Philosophie steckt dahinter?

Ich bin davon überzeugt, dass man sich breit aufstellen muss, denn die Erfahrungen, die wir in den verschiedenen Kategorien sammeln, machen uns konkurrenzfähig und tragen zu unserem Erfolg bei. Wir haben Plattformen, auf denen wir unsere Horizonte erweitern sowie unsere Talente und Partner finden können.

Wie beurteilen Sie die Partnerschaft mit BMW i Motorsport in den vergangenen anderthalb Saisons?

Ich bin sehr stolz auf die Partnerschaft mit BMW i Motorsport. Ich denke, wir sind in der relativ kurzen Zeit wirklich stark geworden und haben bewiesen, wie konkurrenzfähig und motiviert wir sind. Unsere Zusammenarbeit befindet sich auf dem höchsten Level. Beide Seiten sind zu einem starken Team zusammengewachsen, und wir treiben uns gegenseitig immer an, weitere Fortschritte zu machen. Ich kann es kaum erwarten, an die Rennstrecke zurückzukehren und dort weiterzumachen, wo wir aufgehört haben.

Welcher Formel-E-Austragungsort ist Ihr Favorit?

Da bin ich parteiisch und entscheide mich für unser Heimrennen in New York City.

Wo würden Sie gern in Zukunft fahren?

Ich würde sehr gerne mehr Formel-E-Rennen in den USA und Nordamerika sehen. Ich denke, Miami oder Long Beach wären großartige Events.

Wie viele andere Rennserien hat auch die Formel E in den vergangenen Monaten virtuelle Rennen ausgetragen. Was halten Sie von Simracing?

Das Simracing hat uns eine großartige Chance geboten, uns weiterhin vor unseren Fans zu präsentieren, unseren Sponsoren eine Plattform zu bieten und unsere Fahrer etwas im Rhythmus zu halten. Ob das Simracing auch in Zukunft so populär bleibt, kann ich nicht einschätzen. Aber ich denke, in der Offseason kann es sicher weiterhin seinen Platz haben und einen hohen Unterhaltungsfaktor bieten.

Sie sind einer der erfolgreichsten Rennfahrer in Nordamerika. Wie kam die Entscheidung zustande, Ihr eigenes Team zu gründen?

Mir war bewusst, dass ich eine erfolgreiche Rennfahrer-Karriere hatte. Diese wollte ich auf einem Höhepunkt beenden, an dem ich noch immer konkurrenzfähig bin. Ich wollte nicht einfach nur weiterfahren und irgendwann in der Versenkung verschwinden. 2003 bot sich für mich bei meinem damaligen Team Green die Gelegenheit, den Übergang vom Fahrer zum Eigentümer zu vollziehen. Ich habe mich in das Team eingekauft und im gleichen Jahr meine Karriere als Vollzeit-Rennfahrer beendet. Von da an hat sich alles bis zu dem Punkt entwickelt, an dem ich heute bin.

Wie haben Sie diesen Weg beschritten?

Um das zu schaffen, war vor allem Beharrlichkeit nötig - du darfst einfach nicht aufgeben, wenn es einmal hart wird. Du musst immer über den Tellerrand schauen und ein starkes Team um dich herum aufbauen. Du brauchst gute Leute. Die habe ich bei Andretti Autosport.

Wie sehen Sie die Zukunft des Motorsports - rein elektrisch, oder wird es auch weiter einen Platz für Verbrenner-Motoren geben?

Das weiß ich nicht. Ich könnte mir vorstellen, dass wir Verbrenner-Motoren mit alternativen Kraftstoffen haben, aber sicher kann ich das nicht beurteilen. Ich kann nur für mich sagen, dass ich froh bin, in beide Formen des Motorsports involviert zu sein.

Foto: BMW Motorsport

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