Formel E

Power-Ranking: Unsere Fahrer-Bewertung nach dem Berlin E-Prix

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Nach dem Berlin E-Prix geht es in der Formel-E-Saison 2018/19 endgültig auf die sprichwörtliche Zielgerade. Nur noch drei Rennen verbleiben im Rennkalender, bis der Name des nächsten Elektro-Champions feststeht. Zudem spitzt sich die Situation an der Front der Fahrermeisterschaft weiter zu. Gerade einmal 21 Punkte trennen die fünf bestplatzierten Fahrer in der Wertung, die in aller Voraussicht den Titel in New York unter sich ausmachen werden. In der derzeitigen Favoritenrolle: Jean-Eric Vergne (DS).

Immerhin steht der Franzose momentan auf Platz 1 im Gesamtstand der Fahrer. In Folge einer unterhaltsamen Aufholjagd erreichte er in Berlin als Dritter zum wiederholten Male das Podium. Doch auch seine nächsten Verfolger di Grassi, Lotterer, Felix da Costa und Frijns haben in der deutschen Hauptstadt Potenzial durchscheinen lassen. Klar ist wohl bereits jetzt: Der Titelkampf wird bis in die letzte Runde gehen.

Welche Piloten aktuell am ehesten in der Erfolgsspur sind, soll unser e-Formel.de Power-Ranking feststellen. Nach jedem Rennen bewerten unsere Redakteure hierfür die Einzelleistungen aller Fahrer - ganz unabhängig vom Material oder unverschuldeten Ausfällen und vollkommen subjektiv. Starke Rennen mit unzureichenden Ergebnissen können somit wertgeschätzt werden, auch wenn unsere Bewertung selbstverständlich keine Aussagekraft über die tatsächliche Meisterschaftssituation treffen kann und soll.

Die Einzelwertungen werden für jeweils drei Rennen beibehalten, um einen Performance-Trend darstellen zu können. Auch die E-Prix von Paris und Monaco spielen im aktuellen Ranking also noch eine Rolle. Eine ausführliche Erklärung der Berechnung unseres Power-Rankings haben wir dir auf Deutsch und Englisch bereitgestellt. Wie zuletzt bekommen wir auch in dieser Ausgabe Unterstützung von einem unabhängigen Medienkollegen von außerhalb unserer Redaktion. Dieses Mal hat Michael Zeitler von 'AUTO BILD' seine Einschätzung zum E-Prix eingereicht. Vielen Dank!

Das e-Formel.de Power-Ranking nach dem Berlin E-Prix

Jean Eric Vergne: Tageswertung: 7.6 Punkte | Gesamtwertung: 6.0 Punkte

Seit seinem Sanya-Sieg im März fährt Jean-Eric Vergne, lässt man das enttäuschende Qualifying und die Zeitstrafe von Rom einmal außen vor, mit beeindruckender Konstanz an der Spitze der Formel E mit. Brach er mit einer dominanten Fahrt in Monaco noch vor zwei Wochen die Serie der verschiedenen Sieger, kämpfte er sich am Rennwochenende in Berlin erneut von Startplatz 8 durch das Feld, setzte wiederholt entschiedene Manöver in Kurve 6 und beendete den E-Prix verdientermaßen auf dem Podium.

Der Franzose ist nach seinem dritten Platz in Berlin endgültig ein Top-Kandidat im Titelkampf der diesjährigen Formel-E-Saison. Zwar reist er nicht als eindeutiger Favorit in die Schweiz, mehr denn je lastet jedoch der Druck des "Gejagten" auf seinen Schultern. Das Pokern und Abwarten ist nun vorbei: Vergne muss am vorletzten Rennwochenende der Saison in die Offensive gehen. Die "Mission Titelverteidigung" hat offiziell begonnen.

Andre Lotterer: Tageswertung: 1.2 Punkte | Gesamtwertung: 5.4 Punkte

Andre Lotterers fahrerische Leistungen gehören wohl zu den größten Überraschungen dieser Saison. Es grenzt beinahe an ein Wunder, dass der gebürtige Duisburger noch immer auf seinen ersten Sieg in einem E-Prix wartet. Wieder hätte es in Berlin klappen können, betrachtet man seine Zeiten aus den Freien Trainings vom Freitag. Wieder erreichte er sein persönliches Ziel eines Rennsieges allerdings nicht.

Dass er in der Qualifikation die Startlinie wenige Sekundenbruchteile zu spät überquerte, ist dabei leider nicht zu entschuldigen. Zwar teilte er nach dem Rennsamstag gewaltig gegen Lucas di Grassi (Audi) aus, der ihn angeblich auf seiner Aufwärmrunde behindert und ausgebremst hatte. Dennoch hätte ihn gleichermaßen sein Team entweder früher auf den Kurs schicken oder er ganz einfach am Brasilianer vorbeifahren können, wenn er ihm zu langsam war. Unglücklich gelaufen ist die Qualifikation allemal - jedoch sind für das Debakel ganz allein DS Techeetah und Lotterer selbst verantwortlich.

Vom vorletzten Startplatz ausgehend waren Hopfen und Malz für den 37-Jährigen damit bereits so gut wie verloren. Es passt zu gut ins Bild seines Berlin-Renntages, dass zur Halbzeit dann auch noch die Batterie überhitzte und er an die Box abbiegen musste. Den einen "Fehltritt", den jeder der Top-Fahrer sich in der "heißen Phase" der Saison theoretisch erlauben könnte, hat er nun bereits hinter sich. Will Lotterer den Titel holen, muss er in Bern und New York fokussierter als je zuvor sein und darf sich keinen einzigen Fehler leisten.

Lucas di Grassi: Tageswertung: 10.0 Punkte | Gesamtwertung: 5.0 Punkte

Nach Mitch Evans' Rom-Siegfahrt ist Lucas di Grassi erst der zweite Fahrer in der Geschichte unseres Power-Rankings, der von unserem Panel die Bestnote von 10 Punkten bekommt. Müsste man ein Lehrbuch zur Formel E schreiben, könnte di Grassis Fahrt in Berlin ohne Probleme das gesamte Kapitel "Wie man ein Rennen gewinnt" ausfüllen.

In aller Ruhe und mit genau der richtigen Härte setzte er sich früh im E-Prix an Vandoorne und Buemi vorbei, die das Rennen vor ihm aufnahmen. Zuvor kam er aus der unliebsamen Qualifying-Gruppe 1 ins Super-Pole-Shoot-out. Natürlich profitierte er dabei auch von seinem fahrbaren Untersatz. Trotzdem setzte sich di Grassi nach dem Führungsmanöver mit seinem ganzen Genie rund eineinhalb Sekunden von der Konkurrenz ab, hielt den Abstand und schonte seinen Akku sowie die Reifen. Wäre es zu einem Safety-Car gekommen, hätte er somit keine unnötige Energie verschwendet.

Gepaart mit taktisch klugen Attack-Mode-Aktivierungen, die er trotz seiner Führung nicht unbedingt konservativ anging, zählt das Berlin-Rennen von Lucas di Grassi rückblickend wohl zu den herausragendsten Fahrleistungen eines Fahrers in dieser Saison. Zudem wurde klar, dass der 34-Jährige im Angriffsmodus ist. Kann er seine Berlin-Performance aufrechterhalten, hat er beim Showdown in New York wohl genauso große Chancen auf die Meisterschaft wie Vergne.

Sebastien Buemi: Tageswertung: 7.4 Punkte | Gesamtwertung: 4.8 Punkte

Es klingt unglaublich, ist aber dennoch wahr: Am 11. Juni, zwischen den E-Prix von Berlin und Bern also, wird sich Sebastien Buemis letzter Sieg in der Formel E zum zweiten Mal jähren. Trotzdem war der aktuelle Aufwärtstrend seiner Performance in Deutschland deutlich zu spüren. Zum ersten Mal seit dem Marrakesch E-Prix 2018 erreichte er in der Hauptstadt wieder das Podium. Zudem war er dabei besser als sein Teamkollege Rowland und wiederholte das beste Saisonergebnis des Briten.

Mit Schwung reist er nun nach Bern, wo er in wenigen Wochen beim Schweiz E-Prix vor heimischem Publikum durchaus das Zeug zum Sieg hat. All den Statistiken zu seinem letzten Rennsieg zum Trotz stehen die Sterne für einen Heimsieg nicht schlecht. Im Titelkampf werden dem Piloten jedoch keine guten Chancen mehr zugerechnet. Mathematisch hält er zwar noch Anschluss an die Spitzengruppe, hat realistisch betrachtet auf die gesamte Saison gesehen jedoch nicht die richtigen Ergebnisse eingefahren, als dass er mit der Hälfte der Punkte, die Vergne derzeit auf seinem Konto hat, in den Titelkampf eingreifen könnte.

Oliver Rowland: Tageswertung: 1.8 Punkte | Gesamtwertung: 4.5 Punkte

Nach tollen Performances in den vorausgegangenen Rennen, in denen Rowland beinahe auf Vergne-Niveau fahren konnte, erlaubte sich der Brite in Berlin seinen ersten großen Fehltritt seit der unglücklichen Full-Course-Yellow-Aktivierung in Hongkong. Er konnte nicht mit Sebastien Buemi mithalten, nimmt jedoch nach einem harten Kampf vier überaus verdiente Punkte für sein Meisterschaftskonto mit. Wie auch Buemi ist Rowland, der zwischenzeitlich scheinbar sogar Chancen auf den Titel hegen durfte, nach Berlin allerdings nicht mehr im Spiel um die Formel-E-Fahrermeisterschaft. Als "Rookie" überzeugt er dennoch weiterhin auf ganzer Linie.

Pascal Wehrlein: Tageswertung: 0.4 Punkte | Gesamtwertung: 3.8 Punkte

Es sollte einfach nicht sein: Zwar erlebte Pascal Wehrlein in Berlin "schon ein ziemlich spaßiges Heimrennen. Nur wäre es schöner, wenn die Kämpfe um Platz 1 gewesen wären", wie er es nach dem E-Prix selbst sehr passend bei 'e-Formel.de' ausdrückte. Die Berg- und Talfahrt seiner Performance ging auch in der Hauptstadt weiter, dieses Mal leider nur mit einem weiteren Tiefpunkt. Mahindra war ganz einfach nicht schnell genug. Doch auch Wehrlein selbst sorgte als Zehnter für keine fahrerischen Sensationen.

Gerade in Anbetracht seines starken Saisonauftakts ist es schade, dass seit dem herben Rückschlag von Hongkong nichts mehr beim Deutschen zusammenlaufen zu scheint. Immer wieder zeigte er zwar auch gute Einzelleistungen, beispielsweise als er im Paris-Qualifying die schnellste Zeit setzte oder in Monaco zwischenzeitlich um Platz 1 kämpfte. Am Ende des Jahres zählt jedoch das, was auf dem Punktetableau steht: Und dort sind in den letzten vier Rennen nur drei zehnte Plätze vermerkt. Es bleibt abzuwarten, ob Wehrlein in Bern zu seiner Marokko-, Chile- oder Mexiko-Performance zurückkehren kann.

Antonio Felix da Costa: Tageswertung: 6.2 Punkte | Gesamtwertung: 3.7 Punkte

Der portugiesische BMW-Fahrer muss schweren Herzens auf eine Saison voller "Hätte, hätte, Fahrradkette" zurückblicken. Dominierten Felix da Costa und BMW das Feld noch in Valencia, Diriyya und Marrakesch, tauchte das Team in den darauffolgenden Rennen in eine regelrechte Depression ab. Immerhin schaffte es der Portugiese in Berlin, einer Strecke, die seinem BMW-Renner gut lag, seinen Teamkollegen Alexander Sims in Schach zu halten und den vierten Platz zu erreichen.

Man stelle sich trotzdem nur vor, was für Antonio Felix da Costa möglich gewesen wäre, wenn er nicht bei seinem Manöver in Marokko gegen Sims ausgefallen wäre. Hätte er das Rennen gewonnen, wäre er nun womöglich sieben Punkte vor Vergne Führender in der Fahrerwertung. So hält er jedoch einen Sicherheitsabstand von 20 Punkten hinter dem Franzosen. Will er den Titel gewinnen, muss in Bern oder New York aber mindestens ein weiterer Rennsieg her. Noch ist es nicht zu spät für die Sensation vom BMW-Titelgewinn im ersten Jahr als Formel-E-Hersteller.

Robin Frijns: Tageswertung: 0.4 Punkte | Gesamtwertung: 3.2 Punkte

Frijns zeigte in Berlin ein unauffälliges Rennen. Nach einer schwachen Qualifikation inklusive Strafversetzung (für eine Kollision mit Sims in Monaco) fuhr er zwar vom 22. auf den 13. Platz vor, profitierte auf seinem Weg jedoch auch von den zwei Ausfällen von Lynn und Lotterer. Wenngleich er als Gesamtfünfter weiterhin den Anschluss an die Meisterschaftsspitze hält, muss man feststellen, dass Frijns mit Leistungen wie in Berlin keine Titel gewinnen kann.

Daniel Abt: Tageswertung: 2.8 Punkte | Gesamtwertung: 3.0 Punkte

Natürlicherweise waren Erwartungen vor Daniel Abts Rennwochenende in Berlin nach dem Sieg in der letzten Saison groß. Leider konnte der Kemptener diesen jedoch nicht vollumfänglich gerecht werden. Immerhin erzielte er als Sechster wichtige Punkte, die ihn in die vordere "Verfolgergruppe" der Meisterschaft spülen. 

Trotzdem blieb er in Berlin im hart umkämpften Mittelfeld der Formel E stecken und konnte somit nicht das gesamte Potenzial seines Autos ausreizen, das Lucas di Grassi - verbogene Spurstange hin oder her - an der Spitze des Feldes zeigte. Abt setzte zwar, wie auch im April in Paris, einige tolle Überholmanöver. Schlussendlich war er fahrerisch jedoch seinem Teamkollegen unterlegen und muss sich mit Platz 6 vor heimischem Publikum abfinden.

Maximilian Günther: Tageswertung: 0.4 Punkte | Gesamtwertung: 2.5 Punkte

Günther komplettierte in Berlin das deutsche "Quartett der Unzufriedenen". Ganz ähnlich wie Robin Frijns und Daniel Abt zeigte er bei seinem Heim-Wochenende ein Rennen frei von großen Sensationen, bei dem er von Startplatz 15 nur auf Rang 14 fahren konnte - auch dank der zwei Ausfälle von Lotterer und Lynn. Dass in seinem Dragon-Boliden Potenzial steckt, zeigte er bereits in den vorausgegangenen Europa-Rennen. Der "große Wurf" gelang Günther in dieser Saison, die getrost als klassisches Lehrjahr betrachtet werden sollte, aber noch nicht.

Es zeugt dennoch von Charakterstärke, dass der 21-Jährige weiterhin so souverän mit den chaotischen Bedingungen hinter den Kulissen seines Teams zurechtkommt. Spanischen Kollegen sagte am Rande des letzten Wochenendes sogar Günthers Teamkollege Jose Maria Lopez angeblich, dass er händeringend nach einem Ausweg aus seinem Vertrag suche - und zwar am besten noch vor Bern. Wie viel Wahrheit in diesen Aussagen steckt, ist leider nur schwer zu beurteilen. Dass Maximilian Günther im Unwetter, das sich bei Dragon zusammenbraut, trotzdem den Kopf hoch halten kann, ist schwer beeindruckend.

Die letzten drei Saisonrennen werden aber auch aus ganz genau diesem Grund entscheidend über die Zukunft seiner Formel-E-Karriere. Von Rennen zu Rennen muss Günther sich aufs Neue bei seinem Team beweisen, was auf der Suche nach einem Vollzeit-Cockpit für das nächste Jahr stört. Will er freiwillig bei Dragons Management bleiben? Sieht er eine Chance aufs Lynns Cockpit bei Jaguar? Wie sieht es aus bei NIO, Nissan oder Mahindra? Geht es zurück in die "zweite Reihe" beim Mercedes-Werksteam? Möglich ist im Formel-E-Fahrerkarussell wohl alles. Um sich bei anderen Rennställen ins Gespräch zu bringen und seine Zukunft zu retten, wird es für Günther in Bern und New York allerdings Zeit für einen Schlusssprint erster Güte. Ob seine sportlich oft beeindruckenden Leistungen der Politik der Formel E trotzen können, wird wohl nur die Zeit zeigen.

Foto: BMW Motorsport

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