Formel E

Power-Ranking: Unsere Fahrer-Bewertung nach dem Marrakesch E-Prix

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Der Marrakesch E-Prix 2019 war an Spannung und Kontroverse kaum zu überbieten. Über weite Strecken führten die BMW-Fahrer Antonio Felix da Costa und Alexander Sims den Lauf in Marokko an, ehe sich das Duo bei einer Kollision weniger als zehn Minuten vor Rennende den sicher geglaubten Sieg regelrecht selbst aus der Hand nahm. Zuvor war Jean-Eric Vergne (DS) nach einem Dreher in Kurve 1 durch das Feld gepflügt, um beim Zieleinlauf noch in die Top 5 zu kommen.

Für den emotionalsten Moment sorgte jedoch wohl Jerome d'Ambrosio, der von der BMW-Kollision profitierte und nach einem Safety-Car-Re-Start den 1-Runden-Sprint bis zur Zielflagge gewann. Der Belgier in Mahindra-Diensten feierte seinen dritten Rennsieg, wenngleich er in Marrakesch zum ersten Mal auf der obersten Stufe des Podiums stehen durfte. Schließlich rückte er bei seinen zwei vorherigen Siegen nur durch eine Disqualifikation des Rennsiegers auf Platz 1 vor. D'Ambrosio, der seinen Sieg direkt nach dem Rennen ausgelassen mit seinem Team feierte, etablierte sich zum ersten Mal in seiner langen Formel-E-Karriere auf Rang 1 der Gesamtwertung.

Was unsere e-Formel.de Redakteure über die Leistung des Belgiers denken, und wer ihrer Meinung nach den derzeit besten Lauf hat, liest du in unserem Formel-E-Power-Ranking. Nach jedem Rennen bewerten wir jeden Fahrer auf Grundlage seiner Fahrleistung am Rennwochenende - ganz unabhängig vom Material oder unverschuldeten Ausfällen und völlig subjektiv. Eine ausführliche Erklärung der Berechnung für unser Power-Ranking findest du auf Deutsch und Englisch hier.

Das e-Formel.de Power-Ranking nach dem Marrakesch E-Prix

Während die Meinungen unserer e-Formel.de Redakteure in der internen Stimmabgabe nach dem Rennen teils weit auseinanderdrifteten, waren sich an der Spitze des Votings fast alle Redaktionsmitglieder über den besten Fahrer des Rennens einig: Jerome d'Ambrosio. Nach einem Rennen aus dem Lehrbuch dürfte dies wohl keine allzu große Überraschung sein, schließlich kämpfte sich der 33-Jährige im Verlauf des E-Prix von Startplatz 10 ausgehend an die Spitze des Feldes.

Selbstverständlich profitierte er dabei auch von dem Startchaos um Jean-Eric Vergne, dank dem er gleich fünf Positionen gewann. Durch cleveren Einsatz des Attack-Mode, eine ruhige Fahrweise, beinharte Verteidigungs- und Angriffsmanöver und das Glück, immer zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen zu sein, brachte sich d'Ambrosio jedoch im Verlauf des Rennens aus eigener Kraft in den Podiumskampf ein.

Als sich dann auch noch die BMW-Fahrer gegenseitig aus dem Rennen kegelten, war der Sieg für den Mahindra-Starter so gut wie sicher. Im finalen Schlusssprint behielt er mehr oder weniger die Nerven, legte einen blitzsauberen Re-Start hin und rettete sich trotz eines Verbremsers in der letzten Kurve als Sieger über die Ziellinie. Einfach großartig. Einziger Minuspunkt war sein Qualifying, bei dem er sich sogar noch hinter seinem unerfahrenen Teamkollegen Pascal Wehrlein qualifizierte. Abgesehen davon zeigte d'Ambrosio jedoch ein brillantes Wochenende in Marrakesch, dem er mit seinem Sieg einen krönenden Abschluss verlieh.

"Das war mein größter Fehler in der Formel E", erläuterte Jean-Eric Vergne nach dem Marrakesch E-Prix seinen Fauxpas in Kurve 1. Unrecht hatte er damit nicht. Was den Franzosen, der nach einem verpatzten Start unter Druck von Sebastien Buemi (e.dams) stand, auf dem Weg in die erste Ecke geritten hat, weiß wohl nicht mal er selbst so recht. Der Verbremser und die Kollision mit Sam Birds Seitenkasten kostete er nicht nur einigen weiteren Fahrern ein gutes Resultat, sondern sich selbst wohl auch den Rennsieg.

Immerhin folgte, nachdem Vergne zwischenzeitlich auf dem letzten Rang lag, anschließend eine Aufholjagd in bester Lucas-di-Grassi-Manier. Fahrzeug um Fahrzeug ließ Vergne hinter sich, ehe er sich - wohl auch dank einer Teamorder, durch die er an Teampartner Andre Lotterer vorbeikam - zum Zeitpunkt des BMW-Crashs auf Position 5 wiederfand. Der DS-Antrieb entpuppte sich auch im langen Marrakesch-Rennen als wohl bestes Aggregat. Doch auch Vergnes Fahrweise verdient jede Menge Respekt. Der Vorfall in Kurve 1 kostet den Franzosen dieses Mal trotzdem die zwischenzeitliche Führung in unserem Power-Ranking.

Antonio Felix da Costa stieg vom "Hero" in Diriyya zur "Zero" in Marrakesch ab. Nach einem guten Qualifying und Auftakt ins Rennen muss sich der Portugiese für seinen Vorfall mit dem Teamkollegen jede Menge Kritik gefallen lassen. Natürlich trägt auch Alexander Sims für die Wahl der Überholstelle eine minimale Teilschuld am Vorfall. Der "Löwenanteil" für das BMW-Drama ist jedoch Felix da Costa zuzuschreiben, der sich mit einer unangebrachten Härte gegen den Briten verteidigte und aus eigenem Verschulden die Führung des Rennens in die Reifenstapel setzte.

Nichtsdestotrotz überzeugte der 27-Jährige über weite Teile des E-Prix mit guten Rundenzeiten, die er nach seinem gewagten Manöver gegen Sam Bird (Virgin) um die Spitze des Feldes in den Asphalt von Marrakesch brannte. Mit stellenweise bis zu fünf Sekunden Vorsprung auf den Rest des Feldes führte er gemeinsam mit Sims das Rennen über weite Strecken an.

Da wir mit unserem Power-Ranking einen Trend der aktuellen Form eines Fahrers darstellen wollen, findet sich Felix da Costa zudem aufgrund seiner guten Leistung in Diriyya weiterhin in den Top 3 des Rankings. In der "Tageswertung" sehen unsere Redakteure den Portugiesen hingegen nur auf dem achten Platz.

Knapp 20 Minuten vor Rennende übergab Andre Lotterer auffällig kampflos seinen achten Platz an Jean-Eric Vergne, der im Attack-Mode zwar herannahte, sich ohne eine offensichtliche Anweisung seines Teams aber wohl nicht so problemlos in Kurve 7 am Deutschen hätte vorbeizwängen können. Der gebürtige Duisburger vergab somit eine Chance auf ein Rennergebnis in den Top 5, das er zuletzt in Diriyya erreichen konnte.

Im Formationsflug ging die Reise für die DS-Fahrzeuge nach der mutmaßlichen Teamorder dennoch immer weiter nach vorn. Am Ende erreichte Lotterer dank eines guten Autos Platz 6. Kurzum: Ein solides Rennen, das leider nicht von einem guten Ergebnis gekrönt werden konnte. Sicherlich werden wir in den kommenden Rennen mit dem 37-Jährigen rechnen müssen.

Alexander Sims, der es nach dem letzten Rennen noch nicht einmal in die Top 10 unseres Power-Rankings schaffte, findet sich überraschend auf Platz 5 in der e-Formel.de Wertung wieder - und das mit gutem Recht. In seinem erst zweiten Formel-E-Rennen schaffte er es beim Marrakesch-Qualifying erstmals in die Top 6, die im obligatorischen Super-Pole-Qualifying um die Pole-Position kämpfen (in Diriyya fiel die Super-Pole zwar aus, jedoch hätte sich Sims auf Platz 10 ohnehin nicht für das Shoot-out qualifiziert).

Von Startplatz 4 ausgehend durchpflügte Sims das Feld in der Anfangsphase des Rennens nach allen Regeln der Kunst, verfolgte Antonio Felix da Costa auf Schritt und Tritt und baute sich gemeinsam mit dem Portugiesen ein komfortables Zeitpolster an der Spitze auf. Zehn Minuten vor Rennende folgte dann der folgenschwere Angriff des Briten, der die herannahende Konkurrenz im Rückspiegel bemerkte. Kurve 7 für ein Manöver zu nutzen, war wohl nicht die klügste Entscheidung - die alleinige Schuld am Vorfall zwischen den beiden BMW kann man dem 30-Jährigen jedoch nicht zuschreiben.

Nach dem viel diskutierten Unfall ordnete sich Sims auf Platz 4 zurück ins Feld ein, wo er das Rennen wenige Runden später auch beendete. Selbstverständlich wäre für Sims vielleicht auch ein Rennsieg möglich gewesen. Doch im zweiten E-Prix an der Spitze eines der besten Fahrerfelder des Motorsports kämpfen zu können, verdient - BMW-Antriebsstrang hin oder her - jede Menge Respekt. Wir gratulieren Sims zum starken Saisonstart und ordnen ihn auf Rang 5 unseres Power-Rankings ein.

Um Haaresbreite hätte es in Marrakesch mit dem ersten Formel-E-Sieg für den Virgin-Neuling Robin Frjins geklappt. Nach einem klugen Rennen fand sich der blitzschnelle und überaus talentierte Niederländer kurz vor Schluss auf Platz 2 hinter Jerome d'Ambrosio wieder - und das obwohl er von Startplatz 8 ins Rennen gehen musste. Schlussendlich war es wohl der verpatzte Re-Start nach der Safety-Car-Phase, bei dem Frijns kurzzeitig den Anschluss an den Spitzenreiter verlor, was ihm die letzten Hoffnungen auf den Rennsieg kostete.

Im Verlauf der finalen Runde kämpfte er sich dennoch bis an den Diffusor von d'Ambrosio heran und trieb den Belgier in der letzten Kurve gar in einen Fehler. Möglicherweise hätte er den Mahindra-Fahrer, der durch seinen Fahrfehler deutlich schlechter aus der letzten Kurve herausbeschleunigte als Frijns, am Ende der Start-/Zielgeraden noch einsacken können. Schlussendlich fehlten ihm unter der karierten Flagge jedoch 0,143 Sekunden. Dennoch: Eine starke Leistung von Robin Frijns, die auch von unseren Redakteuren wertgeschätzt wurde

Der Neuseeländer Mitch Evans verliert nach einem unauffälligen Rennen in Marrakesch zwei Positionen im Power-Ranking. Grund dafür ist nicht nur der große Patzer im Super-Pole-Qualifying, der dem sonst so schnellen "Kiwi" die Chance auf die Pole-Position kostete. Ausgehend von Startplatz 5 rutschte Evans im Tumult von Kurve 1 durch den langen Umweg über die Auslaufzone bis auf Position 14 zurück. Am Ende reichte es für den 24-Jährigen zu Platz 9 und somit einem Punkteergebnis, das wohl trotzdem nicht den Erwartungen seines Jaguar-Teams gerecht wird.

Der Brite Sam Bird lieferte in Marokko erneut ein astreines Wochenende ab. Trotz eines Wasserpumpen-Problems im 2. Freien Training, in dessen Folge noch kurz vor dem Start in das Qualifying hektisch am Heck seines Virgin-Boliden geschraubt wurde, brachte er seinen Renner souverän durchs Gruppen-Qualifying und holte sich anschließend - wohlbemerkt mit einem leicht beschädigten Fahrzeug infolge des Dillmann-Vorfalls in der Boxengasse - mit einer Bilderbuch-Runde die Pole-Position für das Rennen.

Auch am Rennstart behielt Bird die Oberhand. Frei nach dem Motto "Nach mir die Sintflut" entkam er um Haaresbreite dem Tumult in Kurve 1 und führte den E-Prix für mehrere Runden an, ehe er sich den offensichtlich besseren BMW-Fahrzeugen geschlagen geben musste. Nichtsdestotrotz kann Bird, obwohl er kurz vor Schluss seinen Teamkollegen Frijns ziehen lassen musste, mit seinem Rennergebnis mehr als zufrieden sein. Wir werden in dieser Saison noch jede Menge Spaß mit dem Briten haben, so viel steht fest.

Audi-Fahrer Lucas di Grassi hält sich wie zuletzt in Diriyya am hinteren Ende der Top 10 unseres Power-Rankings auf. Mit Platz 7 und der schnellsten Runde nimmt der Brasilianer insgesamt sieben Zähler aus Marrakesch mit. Dennoch: Auch wenn es für di Grassi zum Saisonbeginn 2018/19 deutlich besser läuft als im Vorjahr, ist das Resultat noch weit von dem entfernt, was sich sein Arbeitgeber wohl erhofft hatte - gerade in Anbetracht der guten Leistung von Envision Virgin Racing, die mit dem gleichen Antriebsstrang ein Doppelpodium einfuhren.

Di Grassis Verbremser am Start, bei dem er den unschuldigen Pascal Wehrlein von der Strecke schob, sollte ebenfalls nicht unkommentiert bleiben. Ähnlich wie Vergne an der Spitze verpasste di Grassi seinen Bremspunkt um etliche Meter, ehe er mit einem großen Geschwindigkeitsüberschuss in das Heck vom Mahindra-Neuling rauschte. Nach dem Rennen erklärte di Grassi, dass er aufgrund des Qualms und Staubs nichts gesehen habe. Die Luftaufnahmen in der TV-Wiederholung zeigen jedoch ein anderes Bild…

Im weiteren Verlauf des Rennens hielt sich di Grassi mit einer stark beschädigten Fahrzeugnase etwas mehr zurück. Von Platz 11 ausgehend in die Punkteränge zu fahren, verdient zweifelsohne Lob. Klar dürfte jedoch auch sein, dass der 34-Jährige - auch wegen seines Autos - aktuell noch nicht wieder seine Meisterschaftsform hat.

Sebastien Buemi zeigte in Marrakesch erneut ein starkes Rennen. Schlussendlich reichte es aufgrund seines offenbar unterlegenen Nissan-Antriebs nur für Platz 8. Dennoch zeigte der Schweizer eine grandiose Aufholjagd, die er nach einem Ausweichmanöver am Start gemeinsam mit Mitch Evans (Jaguar) auf sich nehmen musste.

Zwischenzeitlich war Buemi bis auf Platz 13 zurückgefallen. Dass er sich auf der besonders für die Batterien fordernden Strecke in Marrakesch zurück in die Punkteränge kämpfte, zeugt von Buemis Talent. Schade nur, dass der e.dams-Bolide derzeit nicht schnell genug scheint, um im Kampf um die Spitzenpositionen ein Wort mitreden zu können.

Stimmst du unserer Wertung zu? Welchen Fahrer hättest du eher in den Top 10 gesehen - und wer passt deiner Meinung nach gar nicht ins Ranking? Wir freuen uns auf deine Meinung in den Kommentaren und warten gespannt auf das nächste Formel-E-Rennen, das in gerade einmal anderthalb Wochen am 26. Januar in Santiago stattfindet.

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