Power-Ranking: Unsere Fahrer-Bewertung nach dem Santiago E-Prix
Tobias Bluhm

Sam Bird feierte im Anschluss an einen bis in die Schlussminuten packenden Santiago E-Prix ausgelassen seinen ersten Sieg in der Formel-E-Saison 2018/19. Der Brite setzte sich gegen Pascal Wehrlein (Mahindra) durch, der ihn über mehrere Runden attackierte, jedoch keinen Weg vorbei finden konnte. Hinter dem Duo sorgten besonders Entscheidungen der Rennleitung, Kollisionen im hart umkämpften Mittelfeld und packende Positionsduelle für Spannung. Bird übernahm durch seinen Sieg die Spitze im Gesamtstand der Fahrer und brachte sich schon nach dem ersten Saisonviertel ins Gespräch für den Titelkampf.
Wie unsere e-Formel.de Redakteure die Leistung des Briten einschätzen, und wer ihrer Meinung nach derzeit den besten Lauf hat, liest du in unserem Formel-E-Power-Ranking. Nach jedem Rennen bewerten wir jeden Fahrer auf Grundlage seiner Fahrleistung am Rennwochenende - ganz unabhängig vom Material oder unverschuldeten Ausfällen und völlig subjektiv. Die Bewertungen werden für jeweils drei Rennen beibehalten, um einen "Performance-Trend" darstellen zu können. Eine ausführliche Erklärung der Berechnung für unser Power-Ranking findest du auf Deutsch und Englisch hier.
Was für ein Rennen des Deutschen! Wer in seinem zweiten E-Prix gegen den erfahrenen und wie immer bärenstarken Sam Bird (Virgin) um den Sieg kämpfen kann, hat sich im Fahrerlager der Formel E jeden Respekt verdient. Natürlich hätte Wehrlein mit dem Material von NIO oder Dragon wohl kaum ein derart gutes Ergebnis erzielt. Doch seine Einzelleistung trug in Santiago zu einem großen Teil zur Wehrlein'schen Podiumsfeier bei.
Bereits in Marokko zeigte der Ex-Formel-1-Pilot und DTM-Meister 2015, dass wir in diesem Jahr Großes von ihm erwarten können. Seine Santiago-Show hat diese Erwartungen nicht enttäuscht. Im Nachhinein kann man als Außenstehender natürlich leicht argumentieren, dass er es in den letzten Runden übertrieben habe und somit aus eigenem Verschulden mit zu hohen Batterietemperaturen Bird ziehen lassen musste. Im Renngeschehen jedoch den Überblick zu behalten und bis zuletzt den Anschluss nicht zu verlieren, verdient Lob und Anerkennung. Wehrleins Leistung in Santiago macht Lust auf mehr.
Tageswertung: 9.3 Punkte | Gesamtwertung: 5.5 Punkte
Keine Frage: Mahindra ist zurück im Titelkampf der Formel E. Der indische Rennstall um Teamboss Dilbagh Gill konnte mit dem überragenden Jerome d'Ambrosio vor wenigen Wochen in Marrakesch den ersten Sieg des Teams seit Felix Rosenqvists Triumphfahrt auf derselben Strecke im Jahr zuvor feiern. Der Belgier stand zudem bereits in Saudi-Arabien auf dem Podium. Dadurch findet er sich nach dem Santiago E-Prix auf Platz 2 im Gesamtstand der Fahrer wieder - so weit vorn wie noch nie in seiner Formel-E-Karriere.
Wie viele der "Haupt-Protagonisten" des Marokko-Laufs litt aber auch d'Ambrosio unter seiner Positionierung in Qualifying-Gruppe 1, die im heißen Santiago durch schlechtere Streckenbedingungen einen schlechten Startplatz zur Folge hatte. Der Belgier nahm das Rennen von Platz 20 auf, überholte im Rennen aber (wie schon in Marrakesch) Fahrer um Fahrer. Beim Zieleinlauf überquerte er den Strich auf Rang 8. Da er während der Full-Course-Yellow-Phase allerdings zu schnell fuhr, wurde er mit einer Zeitstrafe belegt, die ihn auf Position 10 zurückwarf. Dieser "Anfängerfehler" kostete ihn schlussendlich seine Meisterschaftsführung - und jede Menge Punkte in unserer e-Formel.de Tageswertung. Durch die guten Resultate aus den vorausgegangenen zwei Rennen hält er sich dennoch weit vorn im Trend unseres Power-Rankings.
Tageswertung: 0.3 Punkte | Gesamtwertung: 5.5 Punkte
Es ist einfach unmöglich, sich nach dem Chile-Triumph nicht für den sympathischen Briten Sam Bird zu freuen. Bislang gewann er in jeder Formel-E-Saison mindestens ein Rennen. Diesen Lauf führte er mit seinem glorreichen Sieg in Santiago eindrucksvoll fort und nahm nicht nur 25 Punkte und eine Trophäe, sondern auch die zwischenzeitliche Meisterschaftsführung im Handgepäck nach England mit. Großartig!
Schon zuletzt in Marrakesch rückte Bird sich mit der Pole-Position und dem Podiumsresultat in ein gutes Licht. Nach dem Santiago E-Prix und dem Ende des ersten Saisonviertels dürfte wohl klar sein: Der 32-Jährige wird im Titelkampf erneut eine Rolle spielen können.
Tageswertung: 9.8 Punkte | Gesamtwertung: 5.2 Punkte
Der amtierende Fahrermeister Jean-Eric Vergne blickt auf einen holprigen Formel-E-Saisonstart zurück. In Diriyya und Marrakesch wurde er seiner Favoritenrolle im augenscheinlich überlegenen DS-Renner gerecht und dominierte die Zeitenmonitore über weiter Strecken. Schlussendlich kamen in den ersten beiden E-Prix allerdings Pech und Unvermögen zusammen, die ihn von einem Triumph abhielten. In Saudi-Arabien scheiterte es an einer von Vergne unverschuldeten Durchfahrtsstrafe, in Marokko am Patzer in Kurve 1.
In beiden Rennen erreichte er nach fantastischen Aufholjagden dennoch die Top 5. In Santiago bot sich für Fans des 28-Jährigen leider ein anderes Bild: In der Qualifikation erreichte er aufgrund der langsamen Strecke in Qualifying-Gruppe 1 nun einen enttäuschenden zwölften Startplatz. Doch auch danach ging die Reise nicht weit nach vorn. In Runde 8 wurde er auf Rang 14 liegend von Antonio Felix da Costa gedreht. Mit einem beschädigten Auto fuhr "JEV" noch bis in Runde 12 weiter, ehe er sich - so zumindest dem Eindruck der TV-Bilder nach - ohne erkennbaren Grund erneut drehte und Plätze verlor. Danach stellte er seinen Wagen ab.
Tageswertung: 0.0 Punkte | Gesamtwertung: 4.9 Punkte
Der BMW-Fahrer Alexander Sims lieferte in der Formel E einen Einstand nach Maß ab. Mehrere Jahre wartete der inzwischen 30-Jährige auf seinen ersten Renneinsatz als Entwicklungsfahrer bei Andretti. Nach dem Motto "Was lange währt, wird endlich gut" startet der Brite nun voll in der Elektroserie durch. Bereits in Marrakesch hatte er die Chance auf das erste Podiumsresultat seiner Karriere, vergab die Möglichkeit jedoch infolge seiner inzwischen berühmten Kollision mit seinem Teamkollegen Antonio Felix da Costa.
In Santiago war Sims erneut auf Treppchen-Kurs. Sogar die Ziellinie überquerte er noch auf Rang 3. Dann jedoch die bittere Mitteilung der Rennleitung: Sims bekam eine nachträgliche Durchfahrtsstrafe, die in eine Zeitstrafe umgewandelt wurde. Statt Platz 3 und Champagner auf dem Podium musste sich Sims demnach mit Platz 7 und dem Beifall seines Teams zufriedengeben. Einen Protest seines Teams lehnte die Rennleitung ab.
Hintergrund der Bestrafung war ein Positionskampf gegen Edoardo Mortara (Venturi), in dem das Duo sich um Platz 5 bekriegte. In der Schikane von Kurve 8 schob Sims den Schweizer scheinbar an, wenngleich sich der BMW-Fahrer sicher ist: "Ich habe keine Berührung gespürt." Im e-Formel.de Power-Ranking sammelt Sims dennoch für seine sonst herausragende Fahrweise in Santiago gute Punkte und findet sich verdienterweise in den Top 5 unseres Redaktions-Votings wieder.
Tageswertung: 4.8 Punkte | Gesamtwertung: 4.5 Punkte
Der Niederländer, der zu seinen Andretti-Zeiten zwischen 2015 und 2017 dem Feld aufgrund eines klar unterlegenen Antriebsstranges regelrecht hinterherkrauchte, ist in der Formel E nun endlich dort, wo er hingehört. Mit dem Audi-Antrieb im Heck seines Virgin-Renners ist Robin Frijns zum ersten Mal in seiner Formel-E-Karriere in der Position, sein volles Talent zu entfalten. Das Podium in Marokko zeigte bereits, was für ihn möglich ist. Und auch in Santiago lieferte der 27-Jährige ab: Ein fünfter Platz im Rennen brachte ihn auch auf Platz 5 im Gesamtstand der Fahrer - und auf Platz 6 in unserem Power-Ranking.
Tageswertung: 4.5 Punkte | Gesamtwertung: 4.2 Punkte
Der Renntag in Chile begann für Jose Maria Lopez mit der vielversprechenden schnellsten Runde und dem neuen Streckenrekord im 2. Freien Training auf dem 2,348 Kilometer langen Kurs im O'Higgins-Park von Santiago. Auch in der Qualifikation schaffte er es, entgegen dem Dragon-Trend aus den letzten Jahren, in die Top-10-Ränge. Es folgte ein sauberes Rennen, in dem Lopez allerdings - zum ersten Mal in dieser Saison - langsamer als sein deutscher Teamkollege Max Günther war.
Zum Ende von Runde 14 wurde Lopez schließlich, wohlgemerkt unter gelben Flaggen, von Lucas di Grassi (Audi) in der letzten Kurve gedreht. Der Argentinier verlor dadurch viel Zeit, kämpfte sich in der zweiten Rennhälfte jedoch bis auf Platz 7 nach vorn. Aufgrund einer Überschreitung der maximal erlaubten Leistung wurde er dennoch nur als Neunter gewertet. Der 35-Jährige zeigte ein solides Rennwochenende und spielt auch nach dem Santiago E-Prix eine Rolle im vorderen Verfolgerfeld der Formel E.
Tageswertung: 1.0 Punkte | Gesamtwertung: 3.9 Punkte
In Anbetracht der vielversprechenden ersten zwei Saisonrennen, in denen Antonio Felix da Costa über weite Strecken das gesamte Potenzial seines BMW-Boliden ausschöpfte und ohne den Teamkollegen-Crash mit Alexander Sims in Marrakesch womöglich beide E-Prix hätte gewinnen können, dürfte der Portugiese mit seiner Leistung in Santiago gehörig enttäuscht sein. Am Ende des Tages stehen eine Rennaufgabe und null Punkte hinter dem Namen von Felix da Costa - zum zweiten Mal in Folge.
Immerhin ist der Ausfall dieses Mal nicht auf eigenes Verschulden zurückzuführen. Der 27-Jährige qualifizierte sich in Qualifying-Gruppe 1 nur auf Platz 17 und wurde im hart umkämpften Mittelfeld das Opfer einer Kollision mit den DS-Fahrzeugen von Jean-Eric Vergne und Andre Lotterer, bei der er zum unschuldigen Geschädigten wurde. Ein Reifenschaden war die Folge, der ihn kurz vor Rennende zur Aufgabe zwang. Wie dem auch sei: Zufrieden sein kann Felix da Costa mit seiner Einzelleistung in Santiago nicht.
Tageswertung: 0.0 Punkte | Gesamtwertung: 3.7 Punkte
Auch Andre Lotterer reist wohl ebenfalls mit keinem guten Gefühl aus Chile ab. Etablierte er sich in den ersten zwei Rennen noch mit Jean-Eric Vergne als möglicher Titelkandidat, erreichte er in Santiago zum ersten Mal seit neun Rennen nicht die Punkteränge. Im Qualifying wurde Lotterer Opfer der schlechten Streckenbedingungen in Gruppe 1 - avancierte im Rennen allerdings selbst zum Täter: Erst nahm er nach einem Verbremser Felix da Costa aus dem Rennen, wenig später seinen Teamkollegen Vergne. Zum Rennende überhitzte schließlich seine Batterie, was ihn vom angepeilten Punktekurs abbrachte und weit zurückspülte. Am Ende steht hinter dem Namen des gebürtigen Duisburgers ein nicht zufriedenstellender 13. Platz - das schlechteste Ergebnis seit dem Mexico City E-Prix 2018.
Tageswertung: 0.0 Punkte | Gesamtwertung: 3.1 Punkte
Mit Ausnahme von Jerome d'Ambrosio ist Mitch Evans der einzige Fahrer aus den aktuellen Top 6 der Fahrer-Meisterschaft, der bei bislang jedem Rennen der Saison 2018/19 in die Punkteränge fahren konnte. Nachdem er aus Marrakesch nur zwei Zähler mitzunehmen vermochte, kämpfte sich der Neuseeländer in Chile in einem erneut unauffälligen Rennen auf Platz 7 nach vorn und profitierte anschließend von der Strafe gegen Alexander Sims. Evans hielt sich in weiser Voraussicht aus allen Scharmützeln des Mittelfeldes heraus.
Saisonübergreifend beendete er damit zum vierten Mal in Folge einen E-Prix vor seinem Teamkollegen Nelson Piquet jr. und positionierte sich hinter Bird, d'Ambrosio, Felix da Costa, Vergne und Frijns auf dem besten "Verfolger-Platz" in der Fahrerwertung. Zudem liegen gerade einmal sechs Zähler zwischen ihm und Felix da Costa. Für den Jaguar-Fahrer ist in der Meisterschaft also noch alles offen.
Tageswertung: 1.0 Punkte | Gesamtwertung: 2.7 Punkte
Foto: NISMO
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