Teamorder & Titelkampf: Das e-Formel.de Fahrer-Rating zum Marrakesch E-Prix 2022
Tobias Bluhm
In einem actionreichen Marrakesch E-Prix 2022 sicherte sich Edoardo Mortara seinen dritten Sieg der Saison 2022. Der Schweizer wehrte vor seinem Triumph mehrere Angriffe des DS-Techeetah-Duos ab, die sich mit einer Stallorder jedoch selbst aufhielten. Wie unsere Redaktion die Leistungen aller Fahrer bewertet, erfährst du in unserem Fahrer-Rating.
Wie üblich vergeben die Autor:innen von e-Formel.de dafür Punkte auf einer Skala von 1 bis 10 an alle Piloten. Anschließend werden die Fahrer nach ihrem durchschnittlichen "Rating-Score" geordnet und die besten zehn Leistungen von unserem Formel-E-Reporter Tobias Bluhm kommentiert.
In die Wertung fließen ausschließlich die individuellen fahrerischen Leistungen ein, nicht das Potenzial des Autos oder äußerliche Umstände. Unterstützt werden wir dabei stets von externen Medienkolleg:innen. Dieses Mal war es die 'ran racing'-Journalistin Lisa Hofmann. Vielen Dank!
Das e-Formel.de Fahrer-Rating zum Marrakesch E-Prix 2022
1. Edoardo Mortara | ROKiT Venturi | 9.8 Punkte
Es bleibt dabei: Edo Mortara ist in diesem Jahr in der besten Form seiner Formel-E-Karriere. In Marrakesch fuhr der Schweizer abermals auf Topniveau - und zwar sowohl im Zeitfahren (Startplatz 2) als auch im Renntrimm. Die Bremsprobleme, die ihm im 2. Freien Training noch zu schaffen machten, ließ er im Rennen hinter sich und katapultierte sich dank eines klugen Attack-Mode-Vorgehens an die Spitzenposition. Diese gab er bis zum Zieleinlauf nicht mehr ab.
Unangefochten war sein Erfolg zwar nicht - zwischenzeitlich schien er unter große Bedrängnis der DS-Techeetah-Fahrer zu geraten. Über 34 Runden behielt Mortara jedoch die Nerven und krönte sich zum verdienten Sieger. Ganz nebenbei sicherte er sich damit die WM-Führung in der Formel E.
FAZIT: Ein Rennen mit dem Prädikat "Arbeitssieg". Mortara blieb lässig und präsentierte sich abermals von seiner besten Seite.
2. Antonio Felix da Costa | DS Techeetah | 8.8 Punkte
Die erste Pole-Position des Jahres, der erste Podestplatz, die größte Punkteausbeute der Saison - auf dem Papier dürfte Antonio Felix da Costa zufrieden mit seinem Marrakesch-Rennen sein. Zur Realität gehört aber auch: Obwohl er der schnellere DS-Fahrer war, wies ihn das Team zwischenzeitlich an, seinen Teamkollegen Jean-Eric Vergne vorbeizulassen, der um die WM kämpft.
Der Positionstausch wurde wenige Runden später wieder revidiert, kostete Felix da Costa womöglich jedoch zu viel Zeit und Energie, um seinen späten Angriff auf Mortara bis zum Schluss durchzuhalten. In TV-Interviews gab sich der Portugiese anschließend demütig ("Ich vertraue meinen Jungs komplett"), am Teamfunk ließ er sich unmittelbar nach dem Rennen jedoch ungefiltert aus und sagte: "Ich glaube, wir alle wissen, warum wir dieses Rennen verloren haben!"
FAZIT: Individuell betrachtet bestritt Felix da Costa ein hervorragendes Wochenende - wohl das beste seiner bisherigen Saison. Das Gesamtbild wird aber mal wieder von einer missglückten DS-Stallorder überschattet.
3. Mitch Evans | Jaguar TCS Racing | 8.2 Punkte
Nachdem er sich in der Startphase die Zähne am lahmenden Porsche-Renner von Pascal Wehrlein die Zähne ausgebissen hatte, arbeitete sich Mitch Evans im Verlauf des Rennens unauffällig nach vorn. Der Neuseeländer ließ ausgehend von Startplatz 6 mehrere Fahrzeuge hinter sich und passierte am Schluss sogar noch Jean-Eric Vergne. Platz 3 ist wohl das Maximum, das er aus dem Marrakesch E-Prix herausholen konnte.
FAZIT: Ein wohlverdientes Podium für Mitch Evans, das ihm im Titelrennen wichtige Punkte bescherte.
4. Jean-Eric Vergne | DS Techeetah | 7.6 Punkte
Jean-Eric Vergne präsentierte sich in Marrakesch so bissig und zweikampfstark wie eh und je. Auch er verlor durch die Stallorder Zeit, wird nach dem Rennen aber eingestehen müssen, dass er aufgrund von mangelnder Pace wohl ohnehin kaum Chancen im Führungskampf mit Mortara gehabt hätte.
Was bei aller berechtigter Diskussion um die gefühlt 100. verkorkste DS-Teamorder nicht untergehen sollte: Vergne ist bei den Positionierungsentscheidungen nicht in der Verantwortung, sondern das Teammanagement. Es wäre ungerechtfertigt, den Franzosen in dieser Situation als Schuldigen auszumachen, der den Teamkollegen um seine Siegchancen gebracht hätte.
Es wäre nicht einmal eine Überraschung gewesen, wenn der Platzwechsel mit Felix da Costa genau das gewesen wäre, was Vergne zum Sieg verholfen hätte. Sein Pace-Defizit gegenüber Mortara wurde erst deutlich, als er den Windschatten des Portugiesen verließ. In der aktuellen WM-Situation war es dennoch vernünftig, dieses Experiment zu wagen, schließlich lag Vergne zu diesem Zeitpunkt nur sieben Punkte hinter Mortara und hätte mit einem Sieg die WM-Führung übernommen. Letztlich kostete die Attacke jedoch zu viel Strom, wodurch er kurz vor Schluss sogar vom Podium fiel.
FAZIT: Erneut performte Vergne gut, doch insgesamt war er nicht schnell und sparsam genug, um sich den Sieg zu sichern - auch aufgrund von Temperaturproblemen.
5. Stoffel Vandoorne | Mercedes-EQ | 7.2 Punkte
Gut möglich, dass für Stoffel Vandoorne der Marrakesch E-Prix ein Wendepunkt in seinem Titelrennen war. Nach ordentlichem Tempo am Freitagabend bemerkte er samstags auf Anhieb ein Setup-Problem, das sein 2. Freies Training erschwerte: Schon bei kleinstem Bremsdruck blockierten seine Vorderräder.
Das Problem verschlimmerte sich bis zum Qualifying-Start. "Ich drücke mit 5 bar auf die Bremse, und alles blockiert", berichtete er schon während der Session am Teamfunk. Normalerweise stampfen Formel-E-Fahrer auf ihren Hotlaps mit 60 oder 70 bar ins Pedal. Kurzum: Das Auto war annähernd unfahrbar. Als Resultat landete Vandoorne auf Startrang 20 und musste es sich zur Aufgabe machen, im Rennen Schadensbegrenzung zu betreiben.
Dies gelang ihm eindrücklich. Schritt für Schritt arbeitete sich der Belgier durchs Feld, stellenweise sogar ohne den fürs Energiesparen so wichtigen Windschatten, und rollte auf Position 8 ins Ziel. Besser hätte es im E-Prix wohl kaum laufen können, doch das lindert den Schmerz über den Punkteverlust gegenüber seinen drei Kontrahenten nicht wirklich.
FAZIT: Vandoornes Wochenende wird von den Bremsproblemen im Training und Qualifying überschattet. Auch der Belgier selbst war nach dem E-Prix "zwiegespalten".
6. Lucas di Grassi | ROKiT Venturi | 7.0 Punkte
Der Marrakesch E-Prix war ein klassisches di-Grassi-Rennen: Mit dem Messer zwischen den Zähnen schritt der Brasilianer im Rennverlauf in Duelle mit mehreren anderen Fahrern, darunter in der Schlussphase - wie schon in Jakarta - Nyck de Vries im Mercedes. Seine Rennleistung ist aufgrund der niedrigeren Startposition und einem Verlust mehrerer Plätzen in der Startphase nur schwer mit jener vom Rennsieger Mortara zu vergleichen.
FAZIT: Startplatz 10, Zielposition 5, einige unterhaltsame Zweikämpfe - damit dürfte di Grassi zufrieden sein.
7. Jake Dennis | Avalanche Andretti | 7.0 Punkte
Die Zeiten, in denen Jake Dennis und Oliver Askew gerade so um die Top 15 fuhren, gehören wohl der Vergangenheit an. Der Brite stellte im Qualifying von Marokko abermals seine Schnelligkeit auf einer Einzelrunde unter Beweis und reihte sich auf Position 5 in der Startaufstellung ein.
Im Rennverlauf hielt er über weite Strecken mit, wenngleich das Pace-Defizit gegenüber den Fahrzeugen mit Mercedes-, Jaguar- oder DS-Power zu jedem Zeitpunkt des Rennens deutlich war. Individuell präsentierte sich Dennis aber wieder einmal von seiner besten Seite. In Zweikämpfen blieb er ruhig und behielt bei hohen Batterietemperaturen stets die Übersicht.
FAZIT: Eine gute Fahrt, die jedoch von den Möglichkeiten des fahrbaren Untersatzes limitiert wurde.
8. Nyck de Vries | Mercedes-EQ | 6.2 Punkte
Die erste Session des Formel-E-Wochenendes in Marrakesch endete für Nyck de Vries nach einem Kontakt mit Sebastien Buemi (Nissan e.dams) in der Auslaufzone. Der Zwischenfall war nicht ideal, beeinflusste den Fortschritt seines Wochenendes aber nur sekundär. Samstags bestritt der Niederländer ein beherztes Rennen, in dem er sich vom neunten Startplatz in die Top 6 vorarbeitete.
FAZIT: Kein schlechter Tag für de Vries!
9. Pascal Wehrlein | TAG Heuer Porsche | 5.8 Punkte
Insbesondere in der Startphase des Marrakesch E-Prix fehlte Pascal Wehrlein das Tempo. Den Grund erklärte Porsche-Teamchef Florian Modlinger später ausführlich in einer vom Team versendeten Pressemitteilung: Das Fahrzeug war vor dem Rennstart zu lange ausgeschaltet, wodurch er in der Startrunde mit zu wenig Leistung und im weiteren Rennverlauf mit fehlerhaften Batterietemperaturberechnungen kämpfte.
In Duellen mit seinen Rivalen verteidigte sich Wehrlein am Rande der Sportlichkeit und versuchte, sich in den Punkterängen festzubeißen. Letztlich überquerte er den Zielstricher aber als Zwölfter und mit mehr als 30 Sekunden Rückstand auf Mortara auf einer zu schlechten Position, um mit Zählern aus Marokko abzureisen.
FAZIT: Ein ungewohnt bissiger Wehrlein wurde nach technischen Problemen nicht mit Punkten belohnt. Da wäre mehr möglich gewesen.
10. Oliver Rowland | Mahindra Racing | 5.8 Punkte
In der ersten Hälfte der Saison 2022 konnte Oliver Rowland nur selten mit guten Leistungen auf sich aufmerksam machen, einmal abgesehen von der einen oder anderen Bestzeit im Zeitfahren. Ganz anders lief es in Marokko: Erstmals schien der Mahindra-Pilot im Renntrimm gut klarzukommen. Ausgehend von Startplatz 11 kämpfte sich der Brite mit einer hyper-aggressiven Strategie in nur acht Runden auf den zweiten Platz vor, ehe er in Energienot geriet.
Bis zum Zieleinlauf fiel Rowland wieder auf Platz 10 zurück, wofür er aber immerhin einen WM-Punkt zugesprochen bekam. Es war erst sein drittes Top-10-Ergebnis des Jahres.
FAZIT: Rowland fuhr in Marrakesch so befreit wie an seinen besten Nissan-Tagen, fiel letztlich aber einer zu aggressiven Energiestrategie zum Opfer.
Position | Fahrer | Note | Ergebnis |
11. | Sam Bird (Jaguar) | 5.6 | Platz 9 |
12. | Oliver Askew (Andretti) | 5.2 | Platz 11 |
13. | Nick Cassidy (Envision) | 4.2 | Platz 13 |
14. | Andre Lotterer (Porsche) | 4.0 | Platz 15 |
15. | Maximilian Günther (Nissan e.dams) | 4.0 | DNF |
16. | Sebastien Buemi (Nissan e.dams) | 3.6 | Platz 16 |
= | Oliver Turvey (Nio 333) | 3.6 | Platz 17 |
18. | Robin Frijns (Envision) | 3.0 | Platz 18 |
19. | Dan Ticktum (Nio 333) | 3.0 | DNF |
20. | Alexander Sims (Mahindra) | 2.8 | Platz 14 |
21. | Antonio Giovinazzi (Dragon) | 2.4 | Platz 19 |
22. | Sergio Sette Camara (Dragon) | 2.4 | Platz 20 |
Fahrer | Tobias Bluhm | Tobias Wirtz | Timo Pape | Svenja König | Lisa Hofmann | Durchschnitt |
01. Edoardo Mortara | 10 | 10 | 10 | 10 | 9 | 9.8 |
02. Antonio Felix da Costa | 10 | 8 | 10 | 8 | 8 | 8.8 |
03. Mitch Evans | 8 | 9 | 8 | 8 | 8 | 8.2 |
04. Jean-Eric Vergne | 8 | 8 | 8 | 6 | 8 | 7.6 |
05. Stoffel Vandoorne | 7 | 8 | 6 | 8 | 7 | 7.2 |
06. Lucas di Grassi | 6 | 7 | 8 | 8 | 6 | 7.0 |
07. Jake Dennis | 7 | 7 | 8 | 7 | 6 | 7.0 |
08. Nyck de Vries | 6 | 7 | 6 | 6 | 6 | 6.2 |
09. Oliver Rowland | 6 | 7 | 6 | 5 | 5 | 5.8 |
10. Pascal Wehrlein | 6 | 8 | 6 | 4 | 5 | 5.8 |
11. Sam Bird | 6 | 5 | 6 | 6 | 5 | 5.6 |
12. Oliver Askew | 6 | 5 | 6 | 4 | 5 | 5.2 |
13. Nick Cassidy | 4 | 4 | 5 | 5 | 3 | 4.2 |
14. Andre Lotterer | 3 | 6 | 4 | 4 | 3 | 4.0 |
15. Maximilian Günther | 4 | 6 | 5 | 4 | 1 | 4.0 |
16. Sebastien Buemi | 3 | 4 | 5 | 4 | 2 | 3.6 |
= Oliver Tuvey | 4 | 5 | 4 | 3 | 2 | 3.6 |
18. Robin Frijns | 3 | 3 | 2 | 3 | 4 | 3.0 |
19. Dan Ticktum | 4 | 4 | 4 | 2 | 1 | 3.0 |
20. Alexander Sims | 2 | 4 | 3 | 3 | 2 | 2.8 |
21. Antonio Giovinazzi | 2 | 4 | 4 | 1 | 1 | 2.4 |
22. Sergio Sette Camara | 3 | 4 | 3 | 1 | 1 | 2.4 |
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