Formel E

Alle Rennen abgesagt: Wie geht es weiter mit der Formel-E-Saison 2019/20?

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Mit der Absage der Meisterschaftsläufe von New York und London hat die Formel E am vergangenen Freitag endgültig bestätigt, dass auch die letzten zwei Rennwochenenden der Saison nicht planmäßig stattfinden werden. Im Juni sollen mögliche Ersatzläufe angekündigt werden. Bis dahin herrscht jedoch Ungewissheit im Fahrerlager und bei den Fans. Wie geht es weiter mit der aktuellen Saison?

Die Absagen von New York und London zeichneten sich schon seit einigen Wochen ab. Am 27. März kündigte New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo an, am Brooklyn-Fährhafen ein Krankenlager für rund 1.000 Corona-Patienten errichten zu lassen. Sieben Tage später eröffnete Prinz Charles das NHS-Nightingale-Krankenhaus auf dem Londoner ExCeL-Gelände, das die Formel E eigentlich für ihr Saisonfinale am 25. und 26. Juli nutzen wollte.

Zuvor wurden bereits die geplanten Rennen in Sanya, Rom, Paris, Seoul, Jakarta und Berlin abgesagt oder auf unbestimmte Zeit verschoben. Nun steht die Formel E ohne verbleibende Meisterschaftsläufe da - zumindest offiziell. Hinter den Kulissen wird seit Wochen um die Organisation von Ersatzrennen gerungen, sodass immerhin alle FIA-Kriterien erfüllt werden, um die derzeitige Saison regelkonform zu beenden.

Formel E benötigt noch zwei "Veranstaltungen"

So ist im Formel-E-Regelwerk festgelegt, dass mindestens sechs "Veranstaltungen" stattfinden müssen, um einen Meister zu küren. Mit dem Saisonauftakt in Diriyya, der trotz zweier Rennen als nur eine Veranstaltung zählt, sowie den Rennen in Santiago, Mexiko-Stadt und Marrakesch fanden bislang vier Events statt. Um die Saison formal zu beenden, werden also noch mindestens zwei Veranstaltungen benötigt.

Im Rahmen dieser Veranstaltungen könnten nach dem Vorbild des Diriyya E-Prix auch mehrere Rennen stattfinden. Es ist also gut möglich, dass in den kommenden Monaten noch Meisterschaftspunkte für mindestens vier Rennen vergeben werden, die im Rahmen von zwei oder drei Events stattfinden. Die von der Formel E gesetzte Deadline hierfür wäre im September. Somit soll sichergestellt werden, dass ausreichend Zeit für die Vorbereitung von Fahrzeugen und Batterien bleibt, ehe voraussichtlich im Dezember die erste WM-Saison 2020/21 startet.

Hoffnung auf Dreifach-Saisonfinale

Ob und wo die Ersatz-Events stattfinden würden, ist von mehreren Faktoren abhängig. In zahllosen Interviews bestätigten Formel-E-Gründer Alejandro Agag und der Geschäftsführer Jamie Reigle in der vergangenen Woche den internen Fahrplan der Elektroserie: Man werde versuchen, mindestens drei Rennwochenenden zu organisieren - verteilt auf Deutschland, Südkorea und Großbritannien.

Wann und in welcher Form diese stattfinden können, ist abhängig von zwei zentralen Bedingungen: Einreisebeschränkungen für Personen aus dem Ausland und Restriktionen für Großveranstaltungen. Immerhin werden allein für die Organisation eines Formel-E-Rennens, so erklärte es Agag der Nachrichtenagentur 'Reuters', zwischen 900 und 950 Personen benötigt. Vor Ort müssen zudem strenge Maßnahmen zur Kontaktvermeidung ergriffen werden. In der Praxis könnte eine Rennveranstaltung ohne Publikum dennoch möglich sein.

Fotos: Shivraj Gohil, Lou Johnson, Peter Minnig / Spacesuit Media

Abschied aus den Innenstädten - zumindest vorerst

Sicher ist: Die Formel E wird in absehbarer Zeit auf ihre gewohnten Straßenkurse verzichten und nicht in dicht besiedelten Innenstädten fahren, sondern auf etwas abgelegenere Orte ausweichen. "Die Gesundheit der Menschen und der Einwohner einer Stadt muss an erster Stelle stehen. So lange es nicht sicher ist, in Städten zu fahren, werden wir nicht in Städten fahren", kündigte Formel-E-Chef Agag bei 'Motorsport-Total.com' an. "Die Formel E ist für die Stadt gemacht. Aber jeder wird verstehen, dass wir aus gesundheitlichen Gründen eine Ausnahme machen müssen."

"Im besten Fall dauert das zwei Monate, aber es könnten auch sechs Monate sein, oder ein, zwei, drei Jahre ", so Agag. "Länger wird es meiner Meinung nach im Worst-Case nicht dauern. Irgendwann werden sich alle infiziert haben und immun sein." Auch aus diesem Grund schaut sich die Formel E derzeit permanente Rennstrecken als Ausweichmöglichkeit an. "Wir reden mit vielen Strecken", verkündete der Spanier kürzlich im Interview mit 'e-Formel.de' und bestätigte Portimao als Option. Zu den weiteren Kandidaten zählen laut 'The Race' unter anderem Valencia, wo aktuell sämtliches Equipment und die Fahrzeuge lagern, sowie die britischen Strecken in Silverstone, Brands Hatch und Donington Castle.

Berlin E-Prix nur als Geisterrennen möglich

In Deutschland könnte die Formel E hingegen auf dem Flughafen Tempelhof bleiben, da das Gelände gut von der Öffentlichkeit isoliert werden kann. In Berlin gilt für Sportveranstaltungen bis zum 24. Oktober ein allgemeines "Publikumsverbot". Das Formel-E-Rennen in Tempelhof würde also in jedem Fall ohne Fans an der Rennstrecke stattfinden.

Bis zu jenem Datum dürfen zudem keine Veranstaltungen mit mehr als 5.000 Personen organisiert werden. Bis zum 31. August sind, wie in weiten Teilen Deutschlands, Großveranstaltungen mit mehr als 1.000 Teilnehmern verboten. Überschreitet die Formel E mit ihrem Personal diese Obergrenze nicht, könnte sie eine Erlaubnis beim zuständigen Bezirksamt in Berlin-Tempelhof-Schöneberg beantragen. Die Bearbeitungszeit für einen solchen Antrag beträgt im Normalfall vier bis neun Wochen.

Bedeutender sind jedoch die derzeitigen Einreisebeschränkungen: Mindestens bis zum 15. Mai gilt ein bundesweites Einreiseverbot für alle "nicht unbedingt notwendige Reisen" nach Deutschland. Wer dennoch einreist, muss sich für zwei Wochen in Quarantäne begeben. Mindestens bis zum 14. Juni gilt zudem eine weltweite Ausreisewarnung für deutsche Staatsbürger. Diese Termine liegen jedoch deutlich vor dem frühestmöglichen Neustart der Formel-E-Saison Ende Juli. Welche Reisebestimmungen nach den derzeitigen Deadlines gelten werden, ist momentan nicht abzusehen.

Beschränkungen auch im Vereinigten Königreich & Südkorea

Für Veranstaltungen in Großbritannien gibt es indes keinen klaren Rahmen. "Großveranstaltungen" sind dort bis auf Weiteres ausgesetzt, wenngleich der Umfang eines solchen Events von der Regierung um Premierminister Boris Johnson nicht näher definiert wurde. In Schottland gibt es eine Beschränkung auf 500 Personen. Eine einheitliche Regelung für das gesamte Vereinigte Königreich existiert jedoch ebenso wenig wie eine Einreisesperre für ausländische Touristen. Bis zum 30. Juni werden laut einer Ankündigung des nationalen Motorsport-Verbands keine Rennveranstaltungen stattfinden.

In Südkorea gibt es ebenfalls keine klare Personen-Obergrenze für Veranstaltungen, sondern lediglich die Anweisung, sich an die von der Regierung erlassenen strikten Hygiene-Regeln zu halten. In Anbetracht der wenigen Neuinfektionen mit dem Coronavirus wurde am Dienstag der Spielbetrieb in der nationalen Baseball-Liga KBO wieder aufgenommen - wenn auch vor leeren Rängen. Eine Einreise nach Südkorea ist mit einer 14-tägigen Quarantäne und dem Download einer Tracking-App verbunden, zudem wurde die visumsfreie Einreise ausgesetzt.

Übersicht: Corona-Beschränkungen in Deutschland, Südkorea & UK

 

 
Einreisebeschränkungen*
 

 
Veranstaltungsrestriktionen*
 

Deutschland

Verbot für alle "nicht unbedingt notwendige Reisen" nach Deutschland, zudem verpflichtende Quarantäne von 14 Tagen bis zum 15. Mai 2020

In Berlin: keine Großveranstaltungen mit mehr als 1.000 Personen bis 31. August, keine Großveranstaltungen mit mehr als 5.000 Personen bis 24. Oktober, "Publikumsverbot" für Sportveranstaltungen bis 24. Oktober
 

Vereinigtes Königreich

Von der Einreise wird abgeraten, es gibt jedoch keine bekannten Einreiseverbote

"Obergrenze" für Events nur in Schottland (500 Personen); keine einheitliche Regelung für England
 

Südkorea

Visumsfreie Einreise seit 13. April nicht mehr möglich, zudem verpflichtende Quarantäne von 14 Tagen und Download einer Tracking-App

Keine bekannten Restriktionen

* Liste nicht vollständig, Stand: 7. Mai 2020

Alternativ-Szenarien: Kooperation mit der DTM oder "Saison-Opferung"

Falls die Formel E in den kommenden Monaten ihre Saison nicht mehr mit Ersatzrennen "retten" kann, steht ein Alternativ-Plan im Raum, den Formel-E-Chef Agag bei 'Motorsport.com' ins Spiel brachte: "Wenn wir im August oder September nicht fahren können, werden wir die Rennen nicht weiter nach hinten verschieben", kündigte der Spanier an. "Wir werden die aktuelle Saison opfern, um im Dezember wieder starten zu können."

Sogar eine Kooperation mit der DTM schließt Agag nicht aus, wenngleich die Kombination beider Fahrerlager voraussichtlich gegen die Personen-Beschränkung für Großveranstaltungen verstoßen würde. "Wir könnten einige Rennen zusammen fahren", sagt Agag trotzdem, "wir sind alle im selben Boot. Wir müssen schauen, welche Lösungen es gibt." Schon 2015 verhandelte die Formel E mit dem Norisring. Hier soll nach derzeitigem Stand vom 10. bis 12. Juli der DTM-Saisonauftakt 2020 stattfinden. Am 22. und 23. August möchte die DTM in Brands Hatch fahren - ebenfalls ein Kandidat für ein mögliches Formel-E-Ersatzrennen.

Rennen frühestens ab Ende Juli möglich

Weiterhin setzt die FIA-Meisterschaft auf ihr eigens eingeführtes Bewertungssystem mit grünen, gelben und roten Flaggen. Die Monate Mai und Juni sind momentan mit "roten Flaggen" gekennzeichnet, wodurch frühestens ab dem 1. Juli ein Rennen stattfinden könnte. Der Juli ist der einzige Monat mit einer "gelben Flagge". Sofern sich die Coronavirus-Lage stabilisiert, könnte dann also gefahren werden - tendenziell am Ende des Monats.

Die verbleibenden Monate des Jahres bewertet die Formel E aktuell mit "grünen Flaggen", in denen Rennen möglich sind. Die Entscheidung über die Fortführung der Saison wird in den nächsten Wochen erwartet; noch ist die Situation zu volatil. Klar ist: Vor den Formel-E-Verantwortlichen liegt eine Menge Arbeit, um die Saison 2019/20 neu zu starten.

Foto: Shivraj Gohil / Spacesuit Media

Highlight-Video des derzeit letzten Formel-E-Rennens: Marrakesch E-Prix 2020

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