Analyse des Audi-DTM-Kaders: Rene Rast mit besten Chancen auf Cockpit von Daniel Abt
Timo Pape
Die Entlassung von Daniel Abt bei Audi sorgte in der vergangenen Woche weltweit für Schlagzeilen. Der Deutsche wird nicht mehr für die Ingolstädter in der Formel E antreten und hinterlässt somit ein vakantes Cockpit. Wen Audi für die ausstehenden Rennen dieser Saison und im nächsten Jahr einsetzen wird, ist noch offen. Einer hat aber durchaus gute Chancen…
Wie Audi vor einigen Wochen bekanntgab, steigt die Marke am Ende dieses Jahres aus der DTM aus. Damit stehen insgesamt sechs Werksfahrer vor einer ungewissen Zukunft. Die Formel E dürfte für viele die attraktivste Option sein. Wir haben Audis DTM-Fahrerkader deshalb einmal genauer unter die Lupe genommen, um die Chancen jedes einzelnen Fahrers zu evaluieren.
Eines vorweg: Wenn man den Werksmotorsport von Audi in den vergangenen drei Jahren Revue passieren lässt, stand vor allem ein Name für Erfolg: Rene Rast. Der 33-Jährige sicherte sich in seiner ersten DTM-Saison 2017 auf Anhieb den Meistertitel. Ein Jahr später scheiterte er um vier Punkte an Gary Paffett und wurde Gesamtzweiter, bevor er sich 2019 abermals zum Champion krönte. Aber der Reihe nach…
Mindestens 3 DTM-Fahrer mit guten Karten
Loic Duval bringt einiges an Formel-E-Erfahrung mit. Der Franzose übernahm beim Miami E-Prix 2015 in Saison 1 das Cockpit von Oriol Servia und bestritt in den folgenden zweieinhalb Jahren insgesamt 28 Rennen für Dragon. Nach zwei Podien im Debütjahr konnte Duval sportlich nur noch sehr selten überzeugen und verlor sein Cockpit nach dem Ende der dritten Saison. In Le Mans gelang ihm 2013 mit dem Gesamtsieg ein echtes Karriere-Highlight, doch in seiner DTM-Zeit konnte Duval bislang kaum beeindrucken: In der Saison 2017 wurde er 18., ein Jahr später Zwölfter. Unwahrscheinlich, dass Audi ihn zurück in die Formel E bringt.
Robin Frijns hat da schon bessere Chancen, zählt er doch in der Formel E zu den schnellsten Fahrern überhaupt. Für Saison 5 platzierte Audi den Niederländer als Stammpilot bei seinem Kundenteam Envision Virgin Racing. Frijns holte auf Anhieb zwei E-Prix-Siege sowie zwei weitere Podium, beendete die Saison als Gesamtvierter und schlug dabei auch seinen hochtalentierten Teamkollegen Sam Bird. In der DTM ist der 28-Jährige bislang sieglos. Dennoch zählt er zum erweiterten Favoritenkreis auf das Abt-Cockpit - sollte ihn Audi von Virgin loseisen wollen. Dass Frijns noch in dieser Saison zum Einsatz käme, ist jedoch unwahrscheinlich.
Jamie Green bekam zwar beim Rookie-Test der Formel E in Marrakesch 2019 die Chance, das Formel-E-Auto von Audi zu testen. Als ernsthafter Kandidat für Saison 7 gilt er jedoch nicht. Der 37-jährige Routinier fährt seit 2005 ohne Unterbrechung in der DTM und wurde 2015 Vizemeister. Der ganz große Erfolg blieb aus. Zudem konnte der Brite in den vergangenen beiden Jahren als 18. und Achter nicht mehr vollends überzeugen. Ein Stammcockpit in der Formel E ist für Green eine unwahrscheinliche Zukunftsoption.
Nico Müller hätte zweifelsohne das Potenzial, für Audi in der Formel E zu starten. Der Schweizer überzeugte bereits bei vereinzelten Testgelegenheiten für die "Vier Ringe" und sammelt in dieser Saison zudem als Stammfahrer bei Dragon wichtige Erfahrungen. Nach fünf Rennen steht er bislang noch immer punktlos dar - allerdings auch in einem unterlegenen Auto. Bereits vor einem Jahr zog ihn Audi als Abt-Nachfolger in Erwägung, entschied sich aber letztlich für den Deutschen. Müller darf sich mit Blick auf Saison 7 durchaus Chancen auf ein Audi-Cockpit ausrechnen.
Mike Rockenfeller ist ein DTM-Urgestein wie Markenkollege Green und stand durchweg in Diensten von Audi. Seit 2007 gewann er einen Meistertitel (2013). In den vergangenen Jahren wurde er zweimal Gesamtvierter. Die stärkste Phase des Deutschen liegt jedoch einige Jahre zurück. Insofern schätzen wir seine Formel-E-Chancen ähnlich gering ein wie für Green.
Rene Rast ist wie eingangs erwähnt Audis "Goldesel" der zurückliegenden drei DTM-Jahre. Einer, von dem viele sagen, er sei in jedem Fahrzeug extrem schnell. Der gebürtige Mindener feierte schon im Porsche Carrera Cup sowie im Porsche Supercup insgesamt fünf Meisterschaften, holte 2015 den Titel im ADAC GT Masters und zeigte schließlich auch der arrivierten DTM-Konkurrenz als Rookie die Grenzen auf.
Beim Berlin E-Prix 2016 auf der Karl-Marx-Allee sammelte Rast zudem erste Formel-E-Erfahrungen, als er für den verhinderten Antonio Felix da Costa beim Team Aguri einsprang. Nach einem guten Qualifying - er nahm Teamkollege Ma Qing Hua direkt eine halbe Sekunde pro Runde ab - beschädigte Rast in der Anfangsphase des Rennens den Heckflügel seines Aguri und erreichte nach einem frühen Boxenstopp nur 17. Platz. Dennoch ließ er sein Potenzial bereits aufblitzen.
Rene Rast bei seinem Formel-E-Debüt 2015 auf der Berliner Karl-Marx-Allee | Foto: Shivraj Gohil / Spacesuit Media
Warum eigentlich nur ein neuer Audi-Fahrer?
Nach genauerer Betrachtung dürfte Rene Rast die besten Chancen auf das Cockpit von Daniel Abt haben. Neben seinen beeindruckenden sportlichen Erfolgen in der jüngsten Vergangenheit sprächen zwei weitere Aspekte für ihn. Rast hat die Fähigkeit, sich in Windeseile an ein neues Fahrzeug zu gewöhnen, was gerade in der Formel E ein entscheidender Faktor sein kann. Darüber hinaus ist Rast Deutscher, was in Sachen Marketing im Heimatmarkt sicherlich kein Nachteil für Audi wäre.
Laut 'The Race' hat Rast sein Interesse an der Formel E bereits klar ausgedrückt - alles andere wäre allerdings auch verwunderlich. Bereits 2018 soll er fortgeschrittene Gespräche mit anderen Teams geführt haben. Gleichzeitig sind aber auch Müller und Frijns omnipräsent im Dunstkreis der Formel E und wären ohne Zweifel geeignet für das zweite Audi-Stammcockpit.
Aber kann es wirklich nur einen geben? Nicht zwingend. Denn auch Lucas di Grassis Vertrag läuft zum Ender der aktuellen Saison aus, wie er kurz vor der Corona-Pause exklusiv gegenüber 'e-Formel.de' verriet. "Im Moment habe ich noch keinen Vertrag für die nächste Saison. Mein Plan A ist es natürlich, bei Audi zu bleiben. Allerdings gibt es auch eine Menge anderer guter Teams da draußen", sagte der Champion von 2017 damals. Es wäre theoretisch also auch vorstellbar, dass Audi di Grassi ziehen lässt und stattdessen Rast und Müller verpflichtet, der aktuell etwas höher gehandelt wird als Frijns.
Nach unserer Einschätzung dürfte Audi jedoch alles daran setzen, di Grassi zu halten. Zum einen wegen seines konstanten Erfolges in den vergangenen fünfeinhalb Formel-E-Jahren. Zum anderen, um die Pace eines neuen Piloten mit dem erfahrenen Brasilianer vergleichen zu können und kein zu hohes Risiko eingehen zu müssen. Die Fahrerpaarung di Grassi/Rast scheint uns deshalb aktuell am realistischsten. Müller bleibt jedoch in Lauerstellung.
Die nächste Frage ist allerdings: Ab wann würde der neue Mann ins Auto steigen? Nach aktuellem Stand plant die Formel E für Anfang August mit vier bis sechs Rennen - womöglich alle in Berlin -, um Saison 6 abzuschließen. Zeitgleich, nämlich am 2. und 8. August, will auch die DTM fahren. Rast wäre demnach nicht verfügbar. Gleiches gilt für Müller und Frijns, die für Dragon beziehungsweise Virgin ins Lenkrad greifen würden. Vielleicht bekommt ja noch ein ganz anderer die Chance, eine halbe Saison in der Formel E zu bestreiten und sich womöglich für Saison 7 zu empfehlen. Kelvin van der Linde hat zum Beispiel beim Rookie-Test am 1. März in Marrakesch für Audi überzeugt…
Titelfoto: Audi Communications
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