Formel E

Kommentar: Formel E in Sanya - PR um jeden Preis

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Dass die Formel E immer gut für einen PR-Stunt ist, dürfte jahrelangen Fans der Elektroserie wohl hinlänglich bekannt sein. Erinnerungen an das spektakuläre Video des Rückwärts-Saltos über ein fahrendes Formel-E-Auto in Mexiko werden wach. Auch das Gepard-Wettrennen am Horn von Afrika oder die "Ice Drive"-Dokumentation über Lucas di Grassis Abenteuer in Grönland sind vielen unserer Lesern wohl noch im Kopf.

Immer wieder wurden im Kontext jener Aktionen auch kritische Stimmen laut. War es wirklich nötig, eine große Film-Crew an den Nordpol zu fliegen, um dort auf die Folgen der Gletscherschmelze aufmerksam zu machen? Ähnliches gilt für die neue Formel-E-Schwesterserie Extreme E, die mit elektrischen SUVs in vom Klimawandel bedrohten Landstrichen Autorennen austragen will (und jene dabei womöglich weiter zerstört). Ohne Frage ist die Intention dieser Projekte gut. Die Frage ist nur: zu welchem Preis?

Beinahe unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit baute sich die Formel E auch am vergangenen Rennwochenende in Sanya ein riesiges Public-Relations-Gebäude. Der E-Prix wurde verkauft als Luxus-Event in der Stadt mit der besten Luftqualität Chinas. An den Tagen vor dem Rennen rutschten die Fahrer für Filmaufnahmen durch den Wasserpark des Wolkenkratzer-Hotels Atlantis, um das sich die Strecke wand, tranken aus Kokosnüssen und genossen das Leben im "Hawaii Chinas".

Schampus-Atmosphäre im 48. Stockwerk

DS Techeetah erkor das 1,7 Milliarden Euro teure Resort - unter deutscher Leitung aus dem Boden gestampft in nur vier Jahren - gar als einmaligen Sponsor für das Event aus und lud 150 Gäste auf den Atlantis-Balkon im 48. Stockwerk ein, die den Sieg des Teams in Kaviar- und Champagner-Atmosphäre aus der Vogelperspektive verfolgen konnten.

Sanya präsentierte sich für die Formel-E-Öffentlichkeit von seiner besten Seite: neumodisch, luxuriös, sauber. Ein Paradebeispiel des wirtschaftlichen Aufschwungs in China. Doch während sich Oliver Rowland und Jean-Eric Vergne in einem engen Duell um den Sieg im niedlichen Badeort kämpften, zeichnete sich nur wenige Meter hinter den Streckenmauern ein düsteres Bild ab.

Plastik-Berge am Strand

Denn auf einem Zuweg zum Strand, keine 300 Meter von der Zielgeraden entfernt, türmten sich, abgeschirmt vom Atlantis-Wasserpark, die Müllberge. Jaguar-Fahrer Nelson Piquet jr. führte seine Instagram-Abonnenten bereits vor dem Rennwochenende durch die traurige Szenerie. Leere Plastikflaschen, ausgediente Planen, Tücher, Verpackungen, Becher und Einkaufstaschen schmücken in seinem Video die Dünen. "Schaut euch diesen Sch*** an", kommentiert er. "Ich bin sicher, dass viele von euch (Fahrern) in schicken Hotels sind und nichts von der Welt hier draußen mitbekommen. Schaut euch doch mal an, wie die Leute mit solchen Orten umgehen. Unglaublich."

"Unglaublich" trifft es wohl am ehesten. Dass die Formel E, die sich als grüne Rennserie etablieren will, vor einem Rennen für attraktive TV-Bilder die Strände aufräumen lässt, ist dabei nicht einmal der Skandal. Schließlich soll der Sport, der weiterhin im Zentrum einer Formel-E-Veranstaltung steht, auch in einer passenden Atmosphäre gezeigt werden. Es ist noch nicht einmal klar, ob die Serie überhaupt mit der Aufräumaktion zu tun hatte.

Eine Farce ist es allerdings, dass der Müll ohne Weiteres hinter die Böschungen am Strand und in Steintunnel geworfen, dort fast schon "versteckt" wurde. Plastik findet doch ausgerechnet auf diese Art und Weise seinen Weg in den Ozean, in den ohnehin jährlich bis zu zwölf Millionen Tonnen Plastik gelangen. Dabei war es ausgerechnet die Formel E, die vor vier Jahren für Film- und Fotoaufnahmen in eine Schildkröten-Auffangstation in Uruguay gefahren ist, um auf die Verschmutzung der Weltmeere aufmerksam zu machen...

Egal ob es die Formel-E-Verwaltung nun aktiv an der Müllbeseitigung beteiligt war oder nicht: Wenn eine Gegend in direkter Streckennähe zur Deponie wird, sollte sich die E-Serie zumindest darum scheren.

Wie Sand am Meer…

Den sprichwörtlichen Vogel schoss dann jedoch Envision-Virgin-Racing-Team ab. Als Teil der Aktion "Race Against Climate Change" ließ das Team von Fans eingesendete Botschaften von einem Roboter in den Sand malen. "Zusammen können wir einen Unterschied machen", druckte man in den Strand von Sanya.

Es war ein PR-Akt mit Symbolkraft, der gehörig in die Badehose ging. Denn genauso schnell wie die Botschaften in den Sand markiert wurden, waren sie wieder auch verschwunden. Die Strand-Aktion ist in meinen Augen der fleischgewordene "Tropfen auf den heißen Stein". Wer im Kampf gegen den Klimawandel und die Verschmutzung der Ozeane etwas tun will, findet ohne großen Aufwand zweifelsohne sinnvollere und nachhaltigere Wege.

Das Virgin-Team schickte ihre Fahrer noch am selben Tag ins Atlantis-Ressort, wo Robin Frijns und Sam Bird mit Haien im Aquarium tauchten und mit eingesperrten Robben baden gingen. "Wir hatten eine großartige Zeit beim Erkunden von Sanya und haben gelernt, wie wichtig es für das Meeresleben ist, dass wir auf unsere Ozeane achtgeben", twitterte das Team freudig. Auf wessen Schultern ihre großartige Zeit lastete, blieb unkommentiert.

"Do you practice what you preach?"

Der versteckte Müll von China aus dem Piquet-Video wirft kein gutes Licht auf die nahezu scheinheilig dastehende Formel E, die mit dem Sanya E-Prix viele ihrer ehemaligen Werte aufs Spiel gesetzt hat. Noch dazu eröffnet der Plastik-Haufen ein viel breiteres Themenfeld, das erst seit einem knappen Jahr eine erkennbare Relevanz bekommt: Umweltschutz, Nachhaltigkeit, Effizienz und technologischer Fortschritt - die ursprünglichen Grundpfeiler der 2014 gegründeten Rennserie - rücken immer weiter im Hintergrund. Stattdessen geht es gerade nach dem spannenden Auftakt in die Saison 2018/19 mehr denn je um Menschen und Maschinen, Emotionen und Kontroversen, Mann-gegen-Mann-Duelle, reinrassigen Motorsport.

Schlecht ist das im Interesse der Spannung in der Meisterschaft nicht. Es wäre falsch, sich nicht auch über die großartige sportliche Show in dieser Saison zu freuen. Die Formel E sollte sich - und mit ihr alle Teams - dennoch fragen, zu welchem Preis sie ihre Rennen und PR-Tage austrägt. Nach den ersten sechs Saisonläufen unterscheidet sich die Elektroserie scheinbar nur noch durch ihre radikal andere Technologie von anderen Rennserien.

Die einst im Markenkern der E-Serie stehenden Werte fallen der "PR um jeden Preis" zusehend zum Opfer. Wir alle freuen uns über die packenden E-Prix. Doch wer das "Race Against Climate Change", den Umweltschutz und die Gefahren der globalen Erwärmung predigt, sollte nicht im selben Augenblick aktiv gegen sein eigenes Weltbild handeln.

Fotos: Envision Virgin Racing

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