Formel E

Power-Ranking: Unsere Fahrer-Bewertung nach dem Sanya E-Prix

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Mit einer spektakulären Schlussphase in Sanya hat die Formel E am vergangenen Wochenende den letzten E-Prix im Asien-Abschnitt der Saison 2018/19 beschlossen. Mit einem entschiedenen Manöver setzte sich Jean-Eric Vergne (DS) zur Rennhalbzeit vor Pole-Sitter Oliver Rowland (Nissan) an die Spitze des Feldes, die er bis zum Zieleinlauf und trotz einer roten Flagge nicht mehr abgeben sollte.

Für den amtierenden Formel-E-Meister war es der erste Sieg der Saison. In der Fahrermeisterschaft etablierte sich Vergne mit insgesamt 26 Punkten für Sieg und die schnellste Rennrunde auf dem zwischenzeitlichen dritten Rang - punktgleich mit Sam Bird (Virgin), seinem größten Rivalen aus der letzten Saison. Nach drei erfolg- und punktlosen Rennen in Folge ist der Sanya-Sieg ohne Frage Genugtuung für den Franzosen, der bereits beim nächsten Rennen in Rom die Führung in der Fahrermeisterschaft übernehmen könnte.

Wie schon nach den ersten fünf Saisonrennen haben unsere Redakteure die Einzelleistungen aller Fahrer auch diesmal im e-Formel.de Power-Ranking bewertet. Erneut geht es dabei lediglich um die reine Fahrleistung, unabhängig vom Material oder unverschuldeten Ausfällen und vollkommen subjektiv. Die Wertungen werden für jeweils drei Rennen beibehalten, um einen Performance-Trend darstellen zu können. Auch die E-Prix von Mexiko und Hongkong spielen im aktuellen Ranking also noch eine Rolle. Eine ausführliche Erklärung der Berechnung unseres Power-Rankings haben wir dir auf Deutsch und Englisch bereitgestellt.

Wie zuletzt bekommen wir auch in dieser Ausgabe des Power-Rankings Unterstützung von einem unabhängigen Medienkollegen außerhalb unserer Redaktion. Dieses Mal hat Robert Seiwert vom 'Motorsport-Magazin' seine Einschätzung zum E-Prix eingereicht.

Das e-Formel.de Power-Ranking nach dem Sanya E-Prix

Tageswertung: 9.6 Punkte | Gesamtwertung: 7.8 Punkte

Nach der Berg- und Talfahrt der letzten E-Prix ist Oliver Rowland in Sachen Performance voll und ganz im Titelkampf der Formel E angekommen - einzig die entsprechenden regelmäßigen Punkteergebnisse fehlen noch. Rückblickend auf die chaotischen Valencia-Testfahrten im vergangenen Oktober, bei denen Rowland über Nacht für den plötzlich in die Formel 1 verschwundenen Alexander Albon eingeflogen wurde, ist es fast unglaublich, dass der Brite nach den ersten sechs Saisonläufen um Siege fahren kann. Erneut schlug er letztlich seinen sonst so starken Teamkollegen Sebastien Buemi in der Qualifikation, bevor er den Sanya E-Prix über weite Strecken anführte.

Beim gewagten Überholmanöver von Jean-Eric Vergne in Rennrunde 19 von 36 war Rowland überrascht und somit chancenlos. Trotzdem: Nach einem durchschnittlichen Rennwochenende in Hongkong hat Rowland aus dem Sanya E-Prix mit Platz 2 und dem ersten Podium der Saison ein sehr gutes Ergebnis für sein Team herausgeholt. Wenn er es schafft, seine guten Leistungen in Konstanz und wiederholte Punkteresultate umzuwandeln, hat er gerade im engen Kampf um die Spitze noch immer die Chance auf ein Top-Resultat in der Meisterschaft.

Tageswertung: 3.6 Punkte | Gesamtwertung: 5.7 Punkte

Auch wenn es in Sanya nicht für eine Top-3-Platzierung reichte: Lucas di Grassi hat am vergangenen Rennwochenende einmal mehr unter Beweis gestellt, dass auch in dieser Saison immer mit ihm zu rechnen ist. Der Brasilianer nahm das Rennen von einem für Audi nicht zufriedenstellenden zehnten Platz auf, kämpfte sich im Verlauf des E-Prix aber bis auf Rang 6 nach vorn, ehe er infolge eines Unfalls zwischen Buemi und Frijns unschuldig aus dem Rennen ausschied.

Seine Frustration über den Crash ist verständlich. Dennoch strotzte seine Twitter-Tirade am Montag nach dem E-Prix nur so vor Unreife. Wie ein Rumpelstilzchen wütete der Brasilianer in aller Öffentlichkeit gegen Frijns und Buemi. Ein erwachsener Rennfahrer, der übrigens auch Ambitionen für die FIA-Präsidentschaft hat, benimmt sich anders - gerade in Anbetracht eines für di-Grassi-Verhältnisse nicht herausragenden Rennwochenendes und unabhängig davon, ob er nun im Recht ist oder nicht.

Nach den ersten fünf E-Prix der Saison steht er in der Fahrermeisterschaft mit 52 Punkten auf Augenhöhe mit Edoardo Mortara auf Platz 5. Dank seiner konstanten Ergebnisse in den letzten drei Rennen belegt er in unserem Power-Ranking allerdings Platz 2. Der di-Grassi-Zug rollt dennoch gerade erst an. Mal sehen, was der Audi-Mann bei den europäischen Rennen ausrichten kann…

Tageswertung: 6.0 Punkte | Gesamtwertung: 5.5 Punkte

In Sanya stand Andre Lotterer klar im Schatten seines Teamkollegen Jean-Eric Vergne. Der Duisburger konnte zwar nicht an seine herausragende Leistung aus Hongkong anknüpfen, zeigte jedoch, dass im weiteren Verlauf des Jahres wohl noch viel Potenzial in ihm schlummert. Der DS-Mann stand sich mit einem mäßigen Qualifying-Ergebnis (Startplatz 7) wohl selbst am meisten im Weg, zeigte im Verlauf des E-Prix dann aber zwei harte und erfolgreiche Manöver gegen Sims und Abt. Als Vierter stehen am Ende des Renntages zwölf durchaus verdiente Punkte auf seinem Konto, die sich bestens in das Performance-Bild der letzten Rennen einfügen. Weiter so!

Tageswertung: 1.2 Punkte | Gesamtwertung: 4.7 Punkte

Auch Edoardo Mortara konnte in Sanya nicht auf seine Hongkong-Leistung aufbauen. Der Schweizer zeigte zwar eine gute Pace im Rennen, wurde dann aber vom Pech eingeholt. Ein "Problem beim Aktivieren des zweiten Attack-Modes" führte nach dem E-Prix zu einer Strafe, die ihn nach seiner Verwicklung in den Frijns-Buemi-di-Grassi-Unfall nachträglich aus den Top 10 spülte.

Nach dem Sanya E-Prix bleibt bei Mortara somit der fade Beigeschmack von "da wäre mehr drin gewesen". Auch er kann aber bei seinem "zweiten Heimrennen" in Rom die Führung in der Fahrermeisterschaft übernehmen. Und: Der 32-Jährige ist einer der konstantesten Fahrer im Feld der Formel-E-Saison 2018/19. Sollte bei Mortara das gewisse Quäntchen Glück zurückkehrenden, müssen Teams wie Audi oder Nissan ihn auf jeden Fall als ernst zu nehmenden Konkurrenten auf dem Radar haben.

Tageswertung: 2.4 Punkte | Gesamtwertung: 3.9 Punkte

Irgendwann trifft es in dieser Saison jeden einmal, so scheint es. Nach zwei herausragenden Rennen in Santiago und Mexiko-Stadt tauchte Pascal Wehrlein, der in dieser Saison mit Pauken und Trompeten seinen Einstand in der Formel E feierte, in den letzten zwei Asien-Rennen in ein klassisches Performance-Tief ab. Nach dem Katastrophen-Wochenende von Hongkong erreichte er im Sanya E-Prix immerhin als Siebter die Punkteränge.

Dennoch: Nachdem er in Chile und Mexiko um Siege kämpfte, ist Platz 7 nicht das Resultat, auf das der 24-Jährige stolz sein dürfte. Schon am Start verspielte er viele seiner Karten, als er sich am Teamfunk über die ungewöhnlich lange brauchende Startampel beschwerte und in dem Zug die fünf Lichter verschlief. Aber auch im weiteren Verlauf des Rennens fand er seinen Weg nach vorn nur beschwerlich und profitierte am Ende stark vom Chaos in den letzten zwei Runden.

Wurde Wehrlein nach den Südamerika-Läufen noch als Titelkandidat gehandelt, muss man nun wohl oder übel festhalten: Wer in der Formel E mit konstanten Ergebnissen die Meisterschaft gewinnen will, kann sich eigentlich kein Performance-Tief erlauben - so war es zumindest in den vergangenen Jahren. Noch ist die Meisterschaft aber sicherlich nicht verloren. Für die anstehende Europameisterschaft ist der Druck bei Wehrlein trotzdem groß. Denn wenn er sich und sein Team weiterhin im Kampf um die großen Pokale halten will, ist eine Kehrtwende bereits in Rom dringend nötig.

Tageswertung: 7.2 Punkte | Gesamtwertung: 3.7 Punkte

Antonio Felix da Costa ist zurück in der Formel E. Nach zwei "Nullern" in den ersten drei Saisonrennen dürfte das Podiumsergebnis dem Portugiesen ohne Frage Aufwind für den weiteren Verlauf der Saison geben. Noch immer ist BMW weit von der vorsaisonalen Valencia-Performance entfernt. Mit der dritten Top-3-Platzierung des Formel-E-Jahres übernimmt Felix da Costa dennoch verdientermaßen die Führung in der Fahrerwertung.

Der Sanya E-Prix verlief für den 27-Jährigen vergleichsweise unauffällig. Im Gegensatz zu Vergne schaffte er es nicht am zur Rennmitte strauchelnden Rowland vorbei. Trotzdem beendete er das Rennen mit einem klugen und reifen Fahrstil und sicherte sich, statt alles auf eine Karte zu setzen, wichtige Punkte für sein Konto. Sollte die Meisterschaftssituation unerwartet bis ins letzte Saisonrennen so spannend bleiben, wie sie es aktuell ist, könnten ebendiese Fahrleistungen den entscheidenden Unterschied machen.

Tageswertung: 9.4 Punkte | Gesamtwertung: 3.1 Punkte

Jean-Eric Vergne zeigte in Sanya seinen Kritikern mit Nachdruck, dass auch in der Saison 2018/19 immer mit ihm zu rechnen ist. Mit einem entschiedenen Manöver zog er pünktlich zur Rennhalbzeit an Pole-Sitter Rowland vorbei und baute sich auf Anhieb ein vergleichsweise großes Zeitpolster zur Konkurrenz auf. Trotz Safety-Car, roter Flagge und Full-Course-Yellow sollte er die Spitze bis zum Zieleinlauf nicht mehr abgeben - meisterlich!

Nach dem Rennsieg, der schnellsten Rennrunde und der größten Punkte-Ausbeute seiner bisherigen Saison bleibt allein die Frage offen, wo seine Performance in den vorangegangenen Rennen steckte. Ohne die unnötigen "Nuller" aus den drei E-Prix von Chile, Mexiko und Hongkong wäre Vergne klar der Führende in der Meisterschaft. So steht er mit 54 Punkten "nur" auf Platz 3 in der Fahrerwertung. Auch unser Team gab ihm in den letzten Power-Rankings null Punkte, weswegen er trotz Platz 2 in der "Tageswertung" nur auf Platz 7 in unserem Ranking rangiert. Wiederholt er sein Sanya-Resultat in Europa, wird er allerdings schon sehr bald in beiden Wertungen seinen Weg zurück an die Spitze finden.

Tageswertung: 0.0 Punkte | Gesamtwertung: 3.1 Punkte

Sam Birds bisherige Formel-E-Saison war gezeichnet von Höhen und Tiefen. Licht und Schatten wechselten sich beim Briten dabei ab: Nach seinem Sieg in Santiago, zweifelsohne der Höhepunkt seines bisherigen Jahres, erreichte er in Mexiko nur Platz 9. In Hongkong hatte er die 25 Punkte für Platz 1 eigentlich schon in der Tasche, ehe er für sein Reifenschlitzer-Vergehen gegen Andre Lotterer bestraft und auf Platz 6 zurückgeworfen wurde.

Vom Rückschlag in Hongkong hat sich Bird in Sanya leider nicht erholen können. Vor den Augen der Envision-Eigentümer stellte er sich im Qualifying gerade einmal auf Platz 16 in der Startaufstellung an. Im Tumult am Rennstart wurde er dann von Stoffel Vandoorne (HWA) chancenlos aus dem E-Prix gepflückt. Bereits nach Runde 1 war sein Sanya-Rennen damit gelaufen. Rückblickend war das China-Wochenende für Bird ein sprichwörtlicher Griff ins Klo, der ohne Frage auch Auswirkungen auf seine Meisterschaftsambitionen hat. Aber immerhin: In Rom kann es nur bergauf gehen - dort hat er 2018 gewonnen.

Tageswertung: 3.2 Punkte | Gesamtwertung: 2.8 Punkte

Beinahe unbemerkt von dem Regisseur des TV-Bildes zeigte Sebastien Buemi in Sanya seine wohl beste Leistung der laufenden Saison. Nach dem bizarren Super-Pole-Unfall, für den offenbar ein "Flatspot" seines Reifens in Folge einer Bremssimulation für die FIA verantwortlich war, zeigte Buemi eine beeindruckende Aufholjagd. Minuspunkte gibt es lediglich für seine vermeintliche Schuld am Frijns-di-Grassi-Unfall zwei Runden vor Rennende. In dieser Form ist Buemi auch bei den Europa-Rennen ein Podiumskandidat.

Tageswertung: 3.4 Punkte | Gesamtwertung: 2.6 Punkte

Besonders in der zweiten Rennhälfte des Sanya E-Prix erlebte Robin Frijns wohl die meiste Action aller Fahrer im Feld. Rundenlang duellierte er sich in seinem Virgin-Renner auf Augenhöhe mit Buemi, ehe das Duo im Positionskampf aneinandergeriet.

Es ist aus den TV-Bildern nur schwer zu beurteilen, wer für den Unfall maßgeblich zur Rechenschaft zu ziehen ist. Für beide Fahrer ging es zum Unfallzeitpunkt im Rennen um sehr viel, sodass es wenig verwundert, dass sich Frijns mit aller Härte verteidigte. Einerseits kann man leicht argumentieren, dass der Niederländer noch in der Bremszone in Richtung Streckeninnenseite lenkte. Andererseits war Buemi seines Zeichens wohl selbst zu spät auf der Bremse und hatte (wenn auch wenig) noch Platz nach innen. Es ist eine 50:50-Entscheidung, die jeder Beobachter wohl für sich selbst beurteilen muss…

Frijns beendete den E-Prix nach dem Crash statt auf Platz 7 als 14. Nach einem soliden Rennen im vorderen Mittelfeld ist das sicherlich nicht das Ergebnis, das er sich erhofft hatte. Ähnlich wie sein Teamkollege hat Frijns allerdings bereits im Qualifying die Chance auf bessere Punkte liegen lassen. Dank der Podestplätze von Marrakesch und Hongkong hält er sich dennoch als Gesamtachter in Schlagdistanz zur Spitze der Meisterschaft. Wie bei den meisten Fahrern in der Formel E gilt auch für Frijns: Noch ist nichts verloren. Ein klarer Titelkandidat ist er in seiner aktuellen Form allerdings nicht.

Foto: Lou Johnson / Spacesuit Media

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