Formel E

Formel E: Edo Mortara gewinnt furiosen Hongkong E-Prix nach Bird-Strafe

Tobias Wirtz

Tobias Wirtz

Dramatische Wendung beim 50. Rennen der Formel-E-Geschichte: Nachdem sich Virgin-Fahrer Sam Bird im Anschluss an einen packenden fünften Saisonlauf in Hongkong als vorzeitiger Sieger auf dem Podium feiern ließ, wurde der Brite für einen bereits während des Rennens kontrovers diskutierten Unfall mit Andre Lotterer (DS) nachträglich bestraft. Durch eine 5-Sekunden-Zeitstrafe fiel Bird auf den sechsten Platz zurück. Dadurch erbte Edoardo Mortara seinen ersten Karrieresieg - gleichzeitig der erste für Venturi in 4,5 Jahren Formel E. Lucas di Grassi (Audi) wurde Zweiter, Robin Frijns (Virgin) komplettierte das virtuelle Podium als Dritter.

Am Start kam Oliver Rowland im Nissan sehr gut weg und ging in Führung. Stoffel Vandoorne blieb Zweiter vor Lotterer. Dahinter setzte sich der sehr gut gestartete Bird, der in der ersten Runde insgesamt fünf Plätze gutmachen sollte, zunächst außen vorbei an die fünfte Position, ging nach Kurve 1 auch an Gary Paffett und vor der Schikane noch an Lotterer vorbei. Im hinteren Teil des Feldes kollidierten Felipe Nasr und Jose Maria Lopez - eine Kollision, die Folgen haben sollte... Nelson Piquet jr. rutschte zudem in Kurve 2 in den Notausgang - das frühe Rennende für den Champion aus Saison 1. Nach einer Runde führte Rowland somit vor Vandoorne, Bird, Lotterer, Paffett, Mortara, di Grassi, Massa, Sims und Buemi.

Wenig später überholte Bird Vandoorne in Kurve 1 und übernahm den zweiten Platz vom Belgier. Alexander Sims im BMW verbremste sich weiter hinten ebenfalls in Kurve 1 und rutschte mit der Front in die TecPro-Barriere. Jean-Eric Vergne verbremste sich seinerseits auch und fuhr auf Sims auf, der gerade den Rückwärtsgang eingelegt hatte, um sich wieder zu befreien. Beide fielen ans Ende des Feldes zurück. Dann wurde es chaotisch...

Nasr verlor in der zweiten Runde schließlich seinen beschädigten Frontflügel und rutschte in Kurve 2 geradeaus in die Mauer. Der unmittelbar dahinter fahrende Pascal Wehrlein konnte nicht mehr ausweichen und fuhr ihm auf. Dabei brach seine Radaufhängung. Teamkollege Jerome d'Ambrosio fuhr seinerseits auf Wehrlein auf, und auch bei ihm ging die Radaufhängung zu Bruch. Alle drei Fahrer schieden aus. Die Rennleitung rief zuerst eine Full-Course-Yellow aus, schickte wenig später aber das Safety-Car auf die Strecke. Da sich die drei Fahrzeuge verkeilt hatten und die Bergung länger dauerte als angenommen, wurde das Rennen wenig später mit roten Flaggen unterbrochen.

Spitzenduo setzt sich ab

Nach gut zehnminütiger Unterbrechung, in der sich alle Fahrer in der Box aufgereiht hatten, wurde das Rennen hinter dem Safety-Car neu gestartet. Sämtliche Piloten bis auf Robin Frijns und Daniel Abt, die auf den Plätzen 9 und 10 lagen, aktivierten für den Re-Start ihren ersten Attack-Mode. Lotterer überholte Vandoorne in Kurve 1 und war nun Dritter. Eine Runde später nahm die Dramatik ihren Lauf: Der Führende Rowland rollte ausgangs von Kurve 1 aus, konnte das Auto aber wenig später neustarten und fuhr auf Platz 10 weiter.

Die Freude über die Führung währte für Sam Bird jedoch nicht lange, denn der Brite verbremste sich, und Lotterer kam innen vorbei. Auch Paffett verbremste sich in derselben Kurve. Mortara überholte ihn und war nun bereits Vierter. Bird gab sich mit dem zweiten Platz jedoch nicht zufrieden und setzte Lotterer unter Druck. Beide setzten sich vom Rest des Feldes ab. So lag Vandoorne bereits nach kurzer Zeit 3,5 Sekunden zurück und verlor weiter an Boden. Weiter hinten musste sich Paffett den wilden Attacken von di Grassi erwehren, blieb aber zunächst vorn.

Kampfszenen gab es derweil auch im mittleren und hinteren Teil des Feldes: Vergne überholte im Kampf um Platz 15 Lopez und schob Tom Dillmann im NIO an, den er dadurch hinter sich lassen konnte. Der amtierende Meister sollte dafür jedoch später eine 5-Sekunden-Zeitstrafe erhalten. Auch Rowland überholte mit einem harten Manöver inklusive Feindkontakt Daniel Abt und kam somit wieder auf Platz 9 nach vorn.

Bird und Lotterer fuhren an der Spitze abwechselnd schnellste Runden und bauten ihren Vorsprung auf Vandoorne um rund eine Sekunde pro Runde aus - zwischenzeitlich auf mehr als acht Sekunden. Di Grassi, der lange hinter Paffett festhing, überholte den Briten schließlich und war fortan Fünfter. Ein Blick auf die Restenergie verriet, dass Bird zwar einen deutlichen Vorteil gegenüber Lotterer besaß. Der Energieverbrauch sollte durch die zahlreichen Unterbrechungen am Ende jedoch keine Rolle mehr spielen.

Schwarzer Tag für BMW & Nissan

Alex Sims schied aus, nachdem er beim Beschleunigen das Heck seines Fahrzeugs verloren hatte und an der Mauer angeschlagen war. Erneut ein gebrauchter Tag für den Briten in BMW-Diensten. Teamkollege Antonio Felix da Costa kam ebenfalls nicht über Rang 10 hinaus. Mortara aktivierte indes seinen zweiten und letzten Attack-Mode und überholte Vandoorne - schon Platz 3 für den Schweizer. Weniger gut lief es hingegen für Nissan: Sowohl Sebastien Buemi als auch Rowland fielen abseits der Kameras ins Mittelfeld zurück. Buemi fuhr kurz darauf an die Box auf und stieg frustriert aus seinem Boliden aus.

Dann kam es ganz dick für das im Qualifying so überzeugende HWA-Team: Vandoorne musste sein Fahrzeug wegen eines Antriebswellendefektes am Streckenrand abstellen, während Paffett hinter Abt und Felipe Massa zurückfiel. Um das Auto von Vandoorne abzuschleppen, schickte die Rennleitung abermals das Safety-Car auf die Strecke. Der große Vorsprung von Lotterer und Bird war dadurch wieder dahin.

Erneut aktivierten fast alle Piloten beim Re-Start den Attack-Mode - wenn sie noch einen übrig hatten. Mortara und Massa waren die einzigen Piloten unter den ersten Zehn, die bereits beide Attack-Modes aktiviert hatten und so für den Re-Start nur 200 kW nutzen konnten. Das machte sich bemerkbar: Mortara konnte das Tempo von Lotterer und Bird nicht mitgehen, schaffte es aber trotzdem, di Grassi hinter sich zu halten.

Erneut dramatisches Finale mit tragischem deutschen Helden

Gut fünf Minuten vor dem Ende leistete sich Rowland einen heftigeren Mauerkontakt und handelte sich einen Aufhängungsbruch hinten links ein. Er blieb am Streckenrand stehen, die dritte und letzte Safety-Car-Phase folgte. Erneut ein Doppelausfall für Nissan e.dams - sehr enttäuschend nach einer wirklich starken Performance am gesamten Rennsamstag. Durch die vielen Safety-Car-Phasen war nun klar: Probleme mit der Energie sollte diesmal keiner der Fahrer mehr bekommen. Der E-Prix würde unter "Vollgas" zu Ende gehen.

Dennoch gab es in Hongkong wie zuletzt in Mexiko einen tragischen deutschen Helden, als das Rennen zwei Minuten vor dem Ende wieder freigegeben wurde. Bird griff Lotterer in Kurve 2 an, fuhr ihm aufs Hinterrad und schlitzte ihm dabei den rechten Hinterreifen auf. Der DS-Pilot fiel weit zurück und kam nicht als Sieger, der fast das gesamte Rennen angeführt hatte, sondern als 14. und damit letzter der verbliebenen Fahrer ins Ziel. Keine Punkte und nicht der erste Formel-E-Sieg für den gebürtigen Duisburger - extrem bitte für ihn. Bird fuhr hingegen als Erster vor Mortara und di Grassi über die Ziellinie. Dahinter komplettierten Frijns, Abt, Massa, Evans, Paffett, Turvey und Felix da Costa die Top 10.

Bereits kurz nach Rennschluss meldete die Rennleitung, dass sie den Vorfall zwischen Bird und Lotterer untersuche. Die Siegerehrung fand nichtsdestotrotz auf Grundlage des abgewunkenen Rennergebnisses statt: Bird, der sich in seiner Haut sichtlich unwohl fühlte, nahm den Siegerpokal entgegen, während sich Mortara nach den Plätzen 4 (Santiago) und 3 (Mexiko-Stadt) in Hongkong über den zweiten Rang freuen durfte. Gut vier Stunden nach Rennschluss entschied die Rennleitung schließlich, Bird rückzuversetzen.

"Der Fahrer von Auto Nummer 2 verursachte einen direkten Zusammenstoß mit dem rechten Hinterreifen von Auto 36, der zu einem sofortigen Plattfuß führte", erklärt die Rennleitung in einem offiziellen Dokument. "Es wird anerkannt, dass die Strecke an gewissen Stellen feucht war. Nichtsdestotrotz ließ Auto Nummer 36 mehr als eine Fahrzeugbreite Platz auf der Innenbahn. Deshalb sind wir der Meinung, dass der Fahrer von Auto Nummer 2 die Hauptschuld an dem Zwischenfall trägt."

Trotz alledem hat Sam Bird in Hongkong die Gesamtführung in der Meisterschaft übernommen und liegt nun einen Punkt vor Jerome d'Ambrosio. Auf den Plätzen 3 und 4 folgen punktgleich Lucas di Grassi und Edo Mortara. Dabei rangieren die ersten sechs Piloten innerhalb von elf Punkten - so eng ging es selten zu. Bei den Teams hat Virgin die Spitze übernommen, gefolgt von seinem Antriebslieferanten Audi - die Ingolstädter sind nun bereits Gesamtzweiter. Venturi machte abermals einen großen Satz und ist jetzt Vierter vor BMW. HWA kletter durch seine ersten sieben Zähler auf den neunten Gesamtrang. Das nächste Formel-E-Rennen findet bereits in zwei Wochen, am 23. März, im chinesischen Sanya statt.

Zusätzliche Berichterstattung durch Timo Pape

>>> zum Rennergebnis von Hongkong
>>> zur Gesamtwertung

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