Formel E

Nato, Hughes, Leclerc & Co. - Wer wird Felipe Massas Nachfolger in der Formel E?

Tobias Bluhm

Tobias Bluhm

Zeitgleich mit dem Zieleinlauf zum finalen Rennen des Berlin E-Prix 2020 verkündete Venturi den Formel-E-Abschied von Felipe Massa. Der Brasilianer, der ursprünglich auch eine Vertragsoption für die nächste Saison besaß, wird ab 2021 nicht mehr für das Team aus Monaco antreten. In der Frage um Massas Formel-E-Nachfolge ist die Liste der Bewerber lang, rund ein Dutzend Fahrer kommen infrage. e-Formel.de analysiert, wer die besten Chancen hat.

Felipe Massas Zeit in der Elektroserie war nur selten von Erfolgen gekrönt. Der Formel-1-Vizeweltmeister von 2008 absolvierte insgesamt 24 Formel-E-Rennen, kam dabei aber lediglich achtmal in die Top 10. Sein bestes Ergebnis blieb ein dritter Platz beim Monaco E-Prix 2019, als er hinter Jean-Eric Vergne (DS Techeetah) und Oliver Rowland (Nissan) sein einziges Formel-E-Podium erreichte. Nach zwei Jahren zog er schließlich einen Schlussstrich bei Venturi. Das Team muss sich für 2021 nach einem neuen Piloten umsehen.

Motorsport-Nachwuchs aus der eigenen Akademie

Bei der Suche nach einem Nachfolger für Massa haben die Monegassen die sprichwörtliche "Qual der Wahl". So kann Teamchefin Susie Wolff etwa auf einen mindestens achtköpfigen Fahrerkader zurückgreifen, der 2018 unter dem Titel "Venturi Next Gen" als Nachwuchs-Akademie gegründet wurde. Zu den damals vorgestellten Piloten gehörten neben einigen E-Sports- und Kartsport-Meistern auch die Profi-Rennfahrer Dorian Boccolacci (bis 2019 in der Formel 2), Pierre-Louis Chovet (2020 vier Starts in der FIA Formel 3) und Arthur Leclerc (derzeit Zweiter in der Regionalen Formel-3-Europameisterschaft).

Von allen Akademie-Fahrern darf sich Leclerc wohl die größten Hoffnungen machen. Der Bruder von Ferrari-Shootingstar Charles Leclerc übernahm in der Vergangenheit immer wieder Teile der Venturi-Entwicklungsarbeit und fuhr 2019 und 2020 beim öffentlichen Formel-E-Rookie-Test in Marrakesch. In der abgelaufenen Saison war er zudem einer von Venturis Ersatzfahrern. Im Alter von 20 Jahren wäre Leclerc, sollte ihn das Team für die nächste Saison verpflichten, beim Auftaktrennen in Chile am 18. Januar 2021 der jüngste Formel-E-Starter in der Geschichte.

Leclercs Talent gilt als unbestritten, und sein Nachname schadet bei der Cockpit-Suche gewiss auch nicht. Gegen ihn spricht jedoch die mangelnde Rennerfahrung. Schließlich ist der Monegasse erst seit zwei Jahren im Formelsport aktiv. Auch wenn Venturi einen jüngeren Fahrer verpflichten will, scheint ein Leclerc-Debüt in der Formel-E-Saison 2021 etwas verfrüht.

Fotos: Peter Minnig, Shivraj Gohil / Spacesuit Media

Nato-Einsatz in der Formel E?

Deutlich mehr Erfahrung könnte Norman Nato bei Venturi einbringen, der zwar nicht der Next-Gen-Akademie angehört, das Team aber seit 2018 als Reservepilot unterstützt. Der Franzose fuhr zwischen 2015 und 2017 in der GP2-/Formel-2-Meisterschaft, wo er drei Rennen gewinnen konnte. Neben seinem Formel-E-Engagement im Rennsimulator tritt er derzeit in der Langstrecken-WM der FIA an, wo er kürzlich zusammen mit Gustavo Menezes und Bruno Senna den zweiten Platz beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans erreichte.

Im Alter von 28 Jahren könnte Nato eine geeignete Ergänzung für Formel-E-Routinier Edoardo Mortara sein. Nato hat sich in den vergangenen Jahren ein hohes Ansehen im Team erarbeitet und gilt als verlässlicher und schneller Rennfahrer. Es wäre keine Überraschung, wenn er es aus der "zweiten Reihe" bis in die letzten Runden von Venturis Auswahlprozess schaffen würde.

Venturi als potenzielles B-Team von Mercedes

Als Motorenkunde von Mercedes könnte Venturi hingegen auch die Entwicklungsrichtung eines "B-Teams" einschlagen, wodurch die Stuttgarter eigene Fahrertalente beim Rennstall von Susie Wolff unterbringen könnten - ähnlich wie bei den Team-Partnerschaften zwischen Red Bull und AlphaTauri oder Ferrari und Alfa Romeo in der Formel 1. So könnte etwa Esteban Gutierrez eine zweite Chance in der Elektroserie bekommen, nachdem er das Team Techeetah 2017 nach drei Einsätzen eher unrühmlich und - wie es hinter vorgehaltener Hand heißt - mit Vertragsbruch verließ.

Sollte Mercedes ein Mitspracherecht bei Venturis Fahrerwahl haben, könnte der FIA-Formel-3-Rennsieger Jake Hughes aber wohl die größte Rolle spielen. Der Brite testete in der Vergangenheit für Nio und Mercedes in der Formel E und startet aktuell in der Formel 3 für HWA Racelab. Bei 'The Race' bezeichnete Hughes, der die Nachwuchskategorie nach dem Ende dieser Saison verlassen will, die Elektroserie kürzlich als "attraktive und realistische" Karriereoption. Falls HWA im nächsten Jahr einen neuen Formel-2-Fahrer verpflichten will, kämen über einen Umweg womöglich auch die derzeitigen F2-Piloten Artem Markelov und Giuliano Alesi infrage - sicherlich aber nur mit Außenseiterchancen.

Formel-E-Erfahrung auf dem Fahrermarkt

Doch auch auf dem Markt der Formel-E-erfahrenen Piloten gibt es für Venturi eine große Auswahl. Beim Saisonfinale in Berlin war etwa Nelson Piquet jr. vor Ort - offiziell nur als Unterstützung für die Kommentatoren der englischsprachigen Fernsehübertragung. Es wäre jedoch alles andere als unerwartet, wenn der ehemalige Formel-E-Meister, der im Sommer statt Daniel Abt ebenfalls als Ma-Ersatz bei Nio gehandelt wurde, auch bei einigen Teams seine "Bewerbungsunterlagen" abgegeben hätte.

Daniel Abt hat nach offiziellem Stand ebenfalls noch keinen Vertrag für 2021. Als einer der erfahrensten Formel-E-Piloten könnte der Ex-Audi-Mann für mehrere Teams infrage kommen, womöglich auch für Venturi. Abt wäre eine solide Wahl und könnte Mortara wohl von Anfang an auf Augenhöhe begegnen. Im Kampf um das zweite Cockpit gibt es nur wenige Argumente gegen den deutschen Publikumsliebling, außer die ausgesprochen starke Konkurrenz aus Venturis und Mercedes' eigenen Reihen.

"Arbeitslos" ist in der Elektroserie momentan auch Jerome d'Ambrosio. Der Belgier verlor vor einigen Wochen sein Mahindra-Cockpit an Alexander Sims. D'Ambrosio gilt als ausgezeichneter und verlässlicher Rennfahrer, der sich dank seiner großen Formel-E-Erfahrung zweifelsohne auch als "Team Leader" bei Venturi einbringen könnte. Neben Lucas di Grassi, Sam Bird und Daniel Abt ist d'Ambrosio einer von nur vier Fahrern, die an jedem Formel-E-Rennwochenende der Geschichte teilgenommen haben. Für Venturi wäre er eine gute Wahl, wenngleich auch er sich gegen Venturis hauseigene Talente durchsetzen muss. Gegen d'Ambrosio spricht zudem sein Alter: Zwar ist der 34-Jährige durchaus noch zu sportlichen Topleistungen imstande, allerdings könnte aufgrund mangelnder Zukunftsperspektiven eher ein Nachwuchsfahrer den Vortritt bekommen.

Im Überblick: Die bestätigten Fahrerpaarungen für die Formel-E-Saison 2021

 
Team
 
Fahrer 1

 
Fahrer 2

Audi Sport ABT Schaeffler -

-

BMW i Andretti Motorsport Maximilian Günther

-

DS Techeetah -

-

Envision Virgin Racing Robin Frijns Nick Cassidy
GEOX Dragon - -
Mahindra Racing Alexander Sims -
Mercedes-Benz EQ - -
Nio 333 - -
Nissan e.dams - -
Panasonic Jaguar Racing Mitch Evans Sam Bird
ROKiT Venturi - -
TAG Heuer Porsche Andre Lotterer Pascal Wehrlein

Formel-1-Fahrer am Ende der Warteschlange

Ähnlich wie Felipe Massa könnten zuletzt auch ausgebootete Formel-1-Fahrer ihren Weg in die Elektroserie finden. So gilt etwa die F1-Zukunft von Romain GrosjeanAntonio Giovinazzi und Daniil Kvyat als ungewiss. Laut 'The Race' gehörten alle drei Fahrer schon 2018 zur engeren Auswahl für das damals freigewordene Mahindra-Cockpit von Felix Rosenqvist, das letztlich Pascal Wehrlein bekam. Giovinazzi nahm im selben Jahr zudem am Marrakesch-Test für Virgin teil und setzte die Tagesbestzeit.

Auch das Management von Nico Hülkenberg befand sich gerüchteweise einst in Gesprächen mit einem oder mehreren Formel-E-Teams. Nach seinem eindrucksvollen Racing-Point-Gaststart beim Grand Prix in Großbritannien ist es aber eher unwahrscheinlich, dass sich der Deutsche ausgerechnet bei Venturi in der Formel E bewirbt. Ohnehin dürften alle ehemaligen oder aktuellen F1-Fahrer nur kleine Chancen haben: Aufgrund mangelnder Vorerfahrungen, wenigen Testgelegenheiten zwischen dem Ende der Formel-1-Saison und dem Beginn des Formel-E-Jahres (gerade wegen Venturis Status als Kundenteam!) sowie potenziell hohen Gehaltsvorstellungen gilt es als unwahrscheinlich, dass Venturi für das kommende Jahr einen F1-Fahrer aus der Saison 2020 verpflichtet.

Für welchen Fahrer sich Susie Wolff am Ende entscheidet, bleibt vorerst ungewiss. Einige Piloten haben gute Aussichten auf eine Verpflichtung, doch die Konkurrenz um das vakante Massa-Cockpit ist groß. Bis spätestens zum 7. Dezember muss das Team seine Teilnehmer bei der FIA melden, voraussichtlich wird die ehemalige Rennfahrerin Wolff ihre Entscheidung aber schon vorher treffen und mitteilen.

Titelfoto: Lou Johnson / Spacesuit Media

VIDEO: Venturis Abschiedsbotschaft an Felipe Massa

Zurück

0 Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte addieren Sie 8 und 3.