Der große e-Formel.de Saisonrückblick 2018/19 - Teil 2/3
Tobias Wirtz
Die fünfte Formel-E-Saison ist im Juli in New York zu Ende gegangen. Nach 13 spannenden, abwechslungsreichen und teils äußerst chaotischen Rennen kürte sich Jean-Eric Vergne zum ersten Doppelchampion der Elektrorennserie vor den beiden Dauerrivalen Sebastien Buemi und Lucas di Grassi. Bei den Teams feierte DS Techeetah am Ende den Titel und verwies Audi sowie Envision Virgin Racing auf die Plätze. e-Formel.de liefert dir die besten Stories der vergangenen Saison in einem dreiteiligen Saisonrückblick. Nachdem wir in unserem ersten Teil bereits mit den Saisonläufen 1 bis 3 begonnen haben, fassen wir dir heute die Rennen 4 bis 8 noch einmal zusammen.
Rennen 4: Mexiko-Stadt
Kurz vor dem Mexico City E-Prix Mitte Februar wurde in London die neue Elektro-SUV-Serie Extreme E vorgestellt. Zudem verlor Maximilian Günther sein Dragon-Cockpit an Felipe Nasr - jener Nasr, der sich in Marrakesch noch nicht mit dem Team über die Modalitäten seines geplanten Testeinsatzes einigen konnte. In Rom sollte Günther noch einmal fahren dürfen, da Nasr zeitgleich bei der IMSA antrat. Für den Rest der Saison wurde der junge Deutsche eigentlich zum Test- und Ersatzfahrer zurückgestuft. Vier Tage zuvor hatte er noch in Linz die Werbetrommel für die voestalpine European Races gerührt. Nico Rosberg gab außerdem bekannt, in Berlin während des Rennwochenendes erstmals das Greentech-Festival zu veranstalten. Und Diriyya erwog derweil, seinen E-Prix zukünftig als erstes Nachtrennen in der Formel E durchzuführen.
In Mexiko war Pascal Wehrlein der Mann der Stunde. Nach seinem ersten Podium in Santiago holte sich der junge Deutsche vor Lucas di Grassi die Pole-Position. Beim Rennstart blieben die Positionen zunächst unverändert. Nach wenigen Minuten dann aber der Schock: Jaguar-Pilot Nelson Piquet jr. berührte den aggressiv verteidigenden Vergne beim Überholversuch, hob dabei ab und schlug heftig in die Streckenbegrenzung ein. Rennabbruch! Und zwar erst der zweite in der Geschichte der Elektroserie - es sollten einige weitere folgen.
Nach dem Neustart zeigte Wehrlein bis zur letzten Runde eine souveräne Vorstellung an der Spitze. Nur knapp hinter ihm lag di Grassi, der Oliver Rowland in der Stadion-Sektion in einen Fehler getrieben hatte und vorbeigegangen war. Der Brite und sein Nissan-Teamkollege Sebastien Buemi rollten in der letzten Runde ohne Energie aus – Nissan hatte sich um eine Runde bei der Renndistanz verrechnet! Di Grassi setzte sich in der letzten Runde neben Wehrlein, der die Schikane abkürzte und dadurch vorn blieb. Der Audi war jedoch sofort wieder dran und hetzte den Mahindra um den Kurs. Ausgangs der letzten Kurve dann der Schock für Wehrlein: Die Batterie war leer! Di Grassi ging fast unter der Zielflagge am Deutschen vorbei und holte sich den Sieg. Wehrlein wurde wegen einer Strafe für das Auslassen der Schikane nur Sechster.
Nach dem Mexiko-Rennen stellte Mercedes sein Formel-E-Fahrzeug vor, London die Strecke für das Saisonfinale 2020 - mit einem beeindruckenden Layout, das durch eine Messehalle führen wird. Porsche legte unterdessen die ersten Testkilometer mit seinem Antrieb für Saison 6 zurück. Das bislang unter Ausschluss der Öffentlichkeit geplante Rennen in Sanya nahm derweil rund zwei Wochen vor der Austragung endlich Form an: Neben der Bekanntgabe der Streckenführung startete der Ticketverkauf, außerdem wurde ein Titelsponsor präsentiert. Wien bestätigte indes Gespräche mit der Formel E zur Durchführung eines Rennens in der österreichischen Hauptstadt, die jedoch im Sande verlaufen sollten. Die Formel E plante unterdessen die Durchführung einer eSports-Serie ab 2020.
Rennen 5: Hongkong E-Prix
Jubiläum für die Formel E: In Hongkong feierte die junge Rennserie mit allerlei PR-Aktionen das 50. Rennen ihrer Geschichte. Im Qualifying kam es dann zu einer kleinen Sensation: Die Pole-Position in Hongkong ging an keinen der etablierten Piloten, sondern an Stoffel Vandoorne, der auf abtrocknender Strecke den Vorteil der letzten Qualifying-Gruppe optimal nutzen konnte. Damit erzielte der Belgier auch die ersten drei Punkte für HWA Racelab als Formel-E-Team.
Beim Start übernahm jedoch Rowland die Führung, während es im hinteren Teil des Feldes krachte: Felipe Nasr verlor seinen Frontflügel und rutschte geradeaus in die TecPro-Barriere. Dahinter konnten Pascal Wehrlein und Jerome d'Ambrosio nicht mehr ausweichen – Unfall und rote Flagge und Ausfall für alle drei Piloten. Nach dem Neustart dann ein kurioser Fehler von Rowland: Der Brite wurde in der Haarnadelkurve leicht von Bird angeschoben, verlor das Lenkrad aus der Hand und aktivierte aus Versehen den Speedlimiter für Full-Course-Yellow. Bis er diesen wieder ausgeschaltet hatte, vergingen lange Sekunden, und der Nissan-Fahrer fiel auf Platz 10 zurück. Der neue Führende, Sam Bird, verbremste sich kurz darauf und musste Andre Lotterer vorbeilassen.
Bird war eindeutig schneller, kam jedoch nicht vorbei. Nach zwei Safety-Car-Phasen – Vandoorne war mit Antriebswellendefekt stehengeblieben, Rowland nach Mauerkontakt – zeichnete sich ein Sprint bis zur Ziellinie ab. Erneut versuchte Bird einen Angriff, Lotterer blockte ihn jedoch ab. Beim Kontakt mit Birds Frontflügel beschädigte sich Lotterer jedoch einen Hinterreifen, fiel zurück und wurde daher nur 14. Bird gewann das Rennen zunächst vor Edo Mortara und di Grassi und ließ sich auch bei der Siegerehrung feiern. Nach dem Rennen dann der Schock: Die Rennkommissare sprachen eine Zeitstrafe von fünf Sekunden gegen Bird aus, der somit nur noch Sechster war. Warum die Kommissare mehrere Stunden für diese Entscheidung brauchten, blieb ein Rätsel. Die britische BBC übertrug jedenfalls ihr erstes Formel-E-Rennen live mit 355.000 Fernsehzuschauern...
Rennen 6: Sanya E-Prix
Die Kontroverse um die Bird-Lotterer-Kollision war auch nach dem Rennen das beherrschende Thema in der Elektrorennserie. DS Techeetah hatte Protest gegen das Rennergebnis eingelegt, da man der Meinung war, die Strafe sei zu milde. Die Rennkommissare wiesen den Protest des Teams ab – nicht zum letzten Mal in dieser Saison... Zwischen den beiden Asien-Rennen passierte ansonsten nicht viel in der Formel E: Die Einführung eines Mindestgewichtes für die Piloten wurde diskutiert, außerdem testete Brendon Hartley den Saison-6-Antrieb für Porsche.
Die Pole-Position im südchinesichen Inselparadies Sanya ging an Nissan-Pilot Oliver Rowland. Pech hatte hingegen sein Teamkollege Buemi: Der Schweizer erlitt in der Super-Pole einen Bremsdefekt und wurde nach der technischen Überprüfung aufgrund eines nicht regelkonformen Bremssystems disqualifiziert. Doch es kam noch schlimmer: Wegen des eng getakteten Sanya-Zeitplans - die Pause zwischen Qualifying und Rennen war eine Stunde kürzer als üblich - konnte Nissan den Akku nicht mehr rechtzeitig vollständig aufladen, bevor der Wagen in die Startaufstellung hätte fahren müssen. Buemi startete somit zwangsläufig aus der Boxengasse, was ihn zu diversen Unmutsäußerungen verleitete.
Nach wenigen Kurven im Rennen kam es bereits zum Aus für den bis dato Meisterschaftsführenden: Sam Bird wurde von Vandoorne getroffen und musste das Rennen aufgeben. Gary Paffett stellte seinen HWA-Renner erneut mit defekter Antriebswelle ab, Piquet setzte seinen Jaguar nach erneut schwacher Leistung in die Mauer. Es sollte seine letzte Aktion in der Formel E sein. Zur Rennhalbzeit ging Vergne an Rowland vorbei und übernahm die Führung, die er nicht wieder abgeben sollte.
Nachdem Alexander Sims von Lotterer in die Mauer gedrückt worden war und seinen BMW ausgerechnet auf einer Brücke abstellen musste, wurde das Rennen kurz unterbrochen. Zehn Minuten verblieben nach dem Neustart auf der Uhr, vorn passierte jedoch nichts mehr, da Rowland den ersten Nissan-Podestplatz nicht riskieren wollte. Auf Risiko ging hingegen sein Teamkollege: Buemi lag bereits auf Platz 8, als er sich beim Angriff auf Robin Frijns verschätzte und den Niederländer in den Audi von Lucas di Grassi schob. Durch die Zeitstrafe von zehn Sekunden fiel er wieder auf den achten Platz zurück.
Rennen 7: Rom E-Prix
Vor dem Rom E-Prix im April gab es Neuigkeiten aus der Schweiz: Für 2020 wurde eine neue Streckenführung in Zürich und für 2021 ein Rennen in Genf in Angriff genommen. Zumindest der erste Punkt sollte ohne Erfolg bleiben... Der Antrieb von Nissan sorgte unterdessen für Diskussionen. Die Japaner hatten einen innovativen Doppelmotor entwickelt, dessen genaue Funktionsweise gewisse Grauzonen des Reglements auszunutzen schien. Die Hersteller forderten in einem Brief an die FIA wenige Tage später ein Verbot von Doppelmotoren. Max Günther übernahm planmäßig das Cockpit des in Long Beach weilenden Nasrs. Auch bei Jaguar kam es zum Fahrerwechsel: Nelson Piquet jr. wurde geschasst und durch Alex Lynn ersetzt.
Mercedes testete seinen neuen Formel-E-Antrieb erstmals auf der Strecke, am Steuer saßen Mortara und Vandoorne. voestalpine präsentierte die gedruckte Trophäe für die "European Races" und kündigte einen (später wieder abgesagten) Demolauf in Wien an. Abermals kamen Diskussionen auf, die Formel E könnte ab 2021 offiziellen WM-Status erlangen. Erste Diskussionen über die Gen3-Fahrzeuge mit kleineren Akkus und Schnelllade-Boxenstopps kamen ans Licht der Öffentlichkeit, und die Formel-E-Fahrer traten kurz vor dem Rennen in Rom bei einem Benefiz-Fußballspiel gegen ein "Legenden-Team" des AS Rom an.
Auf der Strecke hieß der Pole-Sitter beim Rom E-Prix Andre Lotterer. Auf abtrocknender Strecke hatte der Deutsche die besten Bedingungen in der Super-Pole und konnte sich sogar einen gröberen Fahrfehler erlauben – weswegen bei Jaguar schon vorzeitig die vermeintliche Pole gefeiert wurde. Allerdings war Lotterer so viel schneller als Mitch Evans, dass er trotz des Fehlers den ersten Platz belegte. Echten Grund zur Freude hatte die Jaguar-Truppe dann im Rennen: Evans überholte Lotterer mit einem harten Manöver und wurde somit im siebten Rennen zum siebten verschiedenen Sieger – von sieben verschiedenen Teams. Ein besonderer Moment für Jaguar, denn der letzte Sieg in einer internationalen Rennserie lag viele Jahre zurück.
Der E-Prix hatte dabei chaotisch begonnen: Nach rund einer Minute wurden rote Flaggen geschwenkt. Jose Maria Lopez war in einer Schikane geradeaus gerutscht und wurde dann von Paffett und Vergne getroffen. Bereits zuvor hatte Max Günther, von Platz 5 gestartet, seinen Dragon auf der nassen Piste verloren und war gegen die Mauer geprallt. Nach dem Restart lebte das Rennen vor allem vom Kampf Lotterer gegen Evans. Stoffel Vandoorne wurde starker Dritter – das erste Podium für den Belgier und HWA. Und das, obwohl die Antriebswelle des Venturi-Motors in den letzten Runden Probleme machte und er Tempo rausnehmen musste – wenige Meter nach dem Zielstrich ging sie dann tatsächlich kaputt. Ein Schicksal, das die beiden Venturi-Piloten Felipe Massa und Mortara bereits während des Rennens erlitten hatten. Vergne hingegen klagte über eine Entscheidung der Rennleitung: Der Franzose hatte während einer Full-Course-Yellow-Phase Antonio Felix da Costa überholt und dafür nachträglich eine Durchfahrtsstrafe erhalten. Dennoch übernahm DS Techeetah die Führung in der Teamwertung.
Rennen 8: Paris E-Prix
Zwischen den Rennen in Rom und Paris liefen bei Porsche bereits die Vorbereitungen auf den Formel-E-Einstieg auf Hochtouren: Für die Zuffenhausener spulten Neel Jani und Brendon Hartley mehr als 1.000 Testkilometer auf der Strecke ab. Günther durfte überraschenderweise auch in Paris anstelle von Nasr fahren. Sao Paulo wurde als heißer Kandidat für einen E-Prix gehandelt, in Zürich sollte die Strecke sogar über eine schwimmende Brücke auf dem Zürichsee führen. Für die Franzosen, allen voran für Jean-Eric Vergne, gewann der Paris E-Prix nur wenige Tage nach dem Brand der Kathedrale Notre-Dame zusätzlich an Bedeutung. Nach langer Wartezeit durften sich endlich auch die Gamer freuen: Die Formel E stellte das offizielle Videospiel Ghost Racing vor. Venturi wechselte nach dem technischen Desaster der vergangenen Wochen den Antriebswellen-Lieferanten.
Der Rennsamstag von Paris sollte turbulent werden. In der Super-Pole fuhr Pascal Wehrlein die schnellste Runde. Die Freude währte aber nur kurz, da an seinem Mahindra ein zu geringer Reifendruck festgestellt wurde. Wehrlein musste, genau wie Teamkollege d'Ambrosio, aus der letzten Startreihe ins Rennen gehen. Die Pole-Position erbte Rowland vor seinem Teamkollegen Buemi. Es folgte das chaotischste Rennen der Formel-E-Geschichte: Da nach Regenfällen nur eine Fahrspur auf der Start- und Zielgeraden trocken war, wurde hinter dem Safety-Car gestartet. Die fehlende Action am Start sollte schnell zurückkommen: Rowland verbremste sich und rutschte in die TecPro-Barriere. Kurz darauf kam es zu einer Berührung zwischen dem Führenden Buemi und dem Zweitplatzierten Robin Frijns: Der Virgin-Pilot drehte mit seinem Frontflügel das Ventil am Reifen des Nissan auf (!), als Buemi kurzerhand den Attack-Mode aktivieren wollte. Buemi verlor an Reifendruck und musste an die Box kommen.
Dann öffnete der Himmel seine Schleusen – und wie! Regen und Hagel sorgten für Full-Course-Yellow, da der Rennleitung die Bedingungen zu gefährlich waren. Nach der erneuten Freigabe kollidierte Rowland mit Sims - der BMW landete in der TecPro-Barriere, es kam zur nächsten Full-Course-Yellow-Phase. So ging es munter weiter: Als nächstes verunfallten Mortara und Lynn, wobei der Schweizer mit seinem Venturi unter den Jaguar rutschte. Nach einer weiteren Full-Course-Yellow-Phase kam sogar das Safety-Car wieder auf die Strecke. Und weil drei Gelbphasen noch nicht genug waren, krachte auch noch d'Ambrosio kurz vor Rennende in die TecPro-Barriere. Lopez konnte nicht ausweichen und sorgte somit für FCY Nr. 4.
An der Spitze fuhr Frijns einen anspruchsvollen Sieg nach Hause - seinen ersten überhaupt in der Formel E - und krönte sich zum achten Sieger im achten Rennen. Dahinter kamen mit Lotterer und Abt zwei Deutsche ins Ziel. Max Günther komplettierte mit Platz 5 ein starkes Wochenende beim Comeback. Pech hingegen für Evans: Nach sieben Punkteresultaten in Folge erzielte der Neuseeländer erstmals in dieser Saison keine Zähler.
Teil 3 unseres großen Saisonrückblicks liest du in Kürze auf e-Formel.de.
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